18.10.2002
Im Herbst 1976 saß ich mit einem dumpfen Gefühl im Kopf im kleinen Zimmer der Karpfengasse 24 und brütete vor mich hin, wenn ich nicht las, denn ich hatte kein Geld mehr. Die Bafög-Kohle vom Frühjahr war in einem heißen Sommer des Rauschs verdampft, und das Gefühl, das ich aus früheren Jahren nur zu gut kannte, könnte ich auch als die Stimmung einer nicht allzu deutlichen Depression erklären. Nicht einmal die Rechnung der Buchhandlung Weichardt – im Sommer oder in den Tagen, in denen der wirkliche Sommer sich verabschiedet und seinem Nachklang das Terrain überläßt, hatte ich ein Buch, welches auch immer, auf Rechnung mitgenommen – konnte ich bezahlen, für die nun eine letzte Mahnung mit der Androhung der üblichen gerichtlichen „Schritte“ auf den Schreibtisch gekommen war; auf eine mir noch nicht ganz klare Weise mußte ich also wenigstens sie begleichen, denn ich wollte mir doch ersparen, den Gerichtsvollzieher aufmarschieren zu lassen. (In den achtziger Jahren kam er allerdings doch.) Ich schob das Problem vor mich her. Für Gin und Bitter Lemon – das Ende der Gin-Phase war eigentlich schon erreicht – reichte das, was ich noch hatte, aber aus (zwei Fläschchen weniger zu konsumieren hätte mir das Geld für die Buchrechnung zur Verfügung gestellt), und auch kleine Abstecher in den „Strauß“ und „Rebstock“ konnten noch gemacht werden. Doch im Prinzip war ich wieder pleite. Mit Geld umzugehen war mir auch später lästig; man hatte welches oder nicht, dann mußte man sich überlegen, wie an ein paar Münzen, im günstigsten Fall Scheine, heranzukommen war. Ach, was zog ich meiner Mutter immer Kleingeld aus den Taschen, Pseudopoet, der ich war! Ich begann, Gedichte zu verfassen – nein, die ersten hatte ich Ende der sechziger Jahre, zu Anfang der siebziger getextet; so muß das Wort für diesen Umgang mit poetischem „Material“ in jenen Jahren, als auch das Wort „Dichter“ aus dem Verkehr gezogen war, lauten. Ich schrieb (nun sind wir aus der Ära der „Textproduktion“ schnell in die Jahre zurück geraten, in denen das „Textemachen“ schon wieder aus dem Bereich des Modischen herausgefallen war, und in der Neuen Innerlichkeit „schrieb“ man wieder) dem vorangegangen Satz zufolge einige Verse, die ich nicht zu meinen besten zählen darf, und übergoß sie, aber nur aus Ungeschicklichkeit, die die geminderte Aufmerksamkeit alkoholisch sedierter Nächte verursacht, mit etwas Rotwein oder Whisky (geringer Preisklasse); aber ich hätte das nun gar nicht erst erwähnen sollen, so nebensächlich waren diese Nachtkritzeleien. Was war dann hauptsächlich? Ich litt unter den reduzierten Bewußtseinszuständen (wäre an dieser Stelle nicht besser auf den unter dem Zeilenwust fast verschütteten Begriff der „Seelenlage“ zu insistieren?), die ein unbefriedigtes Sexualleben heraufsteigen läßt. Der Rauschgoldengel war nicht zu haben, und andere junge Typen, die mir hätten gefallen können, liefen mir nicht über die Straße; wo waren, ich fragte mich seit Jahren, die jungen Schwulen? Selbst alte sah ich nicht, so gut hatten sie sich offenbar versteckt und angepaßt, und ich hätte mit ihnen auch nichts zu tun haben wollen. So unsolidarisch ist man eben in jungen Jahren; in manchen Dingen. Nun bin ich selber in dem Alter, in dem junge Schwule mit mir nichts mehr anfangen wollen; obwohl ich das in der Schwulenhochburg Berlin gar nicht austeste; krank, wie ich bin.
- Regnerisch, wolkenbedeckt am Nachmittag und am frühen Abend Aufriß der grauen Wolkenschicht, helles Gelb im Westen, aus dem der Sonnenball glotzte. Später am Abend Regen, kalt.
18.10.2002
- Regnerisch, wolkenbedeckt am Nachmittag und am frühen Abend Aufriß der grauen Wolkenschicht, helles Gelb im Westen, aus dem der Sonnenball glotzte. Später am Abend Regen, kalt.
18.10.2002
18.10.