16
Okt

16.10.2002

Drei Jahre später, in der Mitte eines anderen Oktobers, saß ich spätabends, wie oft, in einem der kleinen Barsessel an der Theke des „Sternchen“-Kinos, Freunde um mich herum belegten die drei anderen und standen am Tresen, wir tranken Altbier, Pils und Rotwein und Bommerlunder, jeder das, was ihm seine Abenddroge war, und Adrian K. stand hinter der Theke, schenkte aus und nach und war ganz aufgeräumter Stimmung, und es ist nicht auszuschließen, daß auch die Buddy Holly-Kassette lief und diesen Rock’n Roll aus den fünfziger Jahren durch die kleinen Boxen an der Gläserwand, dem dunklen Möbel, jagte. (In der Vierer-WG in der Stuttgarter Senefelder Straße, in der ich für wenige Wochen mein Zimmer gehabt hatte, hatte Bärbel – inzwischen mit neuem Freund – häufig die Songs von Billie Holliday laufen lassen.) Im Oktober 1978 trug ich die Absicht im Kopf, mich an den Filmhochschulen zu bewerben und aus diesem Grund, um eben über alles, was mit Film und Kino (Fernsehen schätzte ich nicht sehr) zu tun hat, Bescheid zu wissen, die technischen Aspekte zu kennen, denn mir war ja wohl bewußt, daß Film eine sehr technische Kunstform war und ist, im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit, und auch aus einer Neugierde heraus, die vom Weingenuß beflügelt wurde, fragte ich den Kinobesitzer, ob ich einmal einen „Blick hinter die Kulissen“ des Kinos werfen könne, den Vorführraum betreten dürfe, um zu sehen, wie es dort zuginge. Ein fataler Gedanke. Wie es dort zuging, sollte ich von diesem Tag an bis zum 18. Juni 1997 gut genug erfahren. Der Kinomann also erwiderte, er spreche mit seinem (um einige Jahre älteren) Bruder, der für alles Technische im Betrieb zuständig sei, daß er mir im Vorführraum alles erkläre. Ich solle abends (eines der folgenden Tage) zur bekannten Anfangszeit für den „Urania“- oder „Sternchen“-Film anwesend sein. Ich stand dann also in diesem dunklen, schlauchartigen Raum, an dessen Ende ein Fenster den Blick auf das Kaufhaus X, einen Teil des Wieland-Gymnasiums und die Straßen und den großen Parkplatz davor ermöglicht, und an dessen Ende auch nach rechts, wenn man hereintrat, der viel kleinere Raum, auch er mit einem Fenster, vor dem – ich sollte es bald wissen – , der Rollo fast ständig heruntergelassen war, für die Projektion der „Sternchen“-Filme eingerichtet ist. Vor dem Bau des „Sternchens“ zu Anfang des Jahres 1978 war dieser Raum, den dann das neue Kino einnahm, für Kinozwecke ungenutzt geblieben, nur der Vorführraum für das Abspielen der „Urania“-Filme hatte, vielleicht größer, existiert. Licht aus zwei sehr altmodischen Lampenschalen an der Decke erhellte den Raum trübe, wenn man die „große“ Beleuchtung einschaltete; nun am ersten Abend meiner Anwesenheit warfen die beiden altertümlichen Wandlampen, die über den Projektionsfensterchen zum Saal unten hin angebracht waren, Bündel von konzentriertem, hellerem Licht zum Arbeiten an die zwei mannshohen (und die oberste Spule ragte, wenn sie aufgeflanscht war, noch um einige Zentimeter höher hinauf) Projektoren der Firma Bauer und zwischen ihnen hindurch. Und auch das Fenster am Ende des Raums war schon geschlossen und mit dem Rolladen verdunkelt, denn das ohnehin nicht sehr helle Oktobertagschimmern, das durch dieses Fenster tagsüber, wenn keine Vorstellungen gespielt wurden, herein fand, hätte die Projektion des „Sternchen“-Films von hinten aufgehellt und ausgebleicht; deshalb mußt es immer, ob im Winter, ob im Sommer, geschlossen sein, wenn im „Sternchen“ das Programm lief. Claus K. zeigte mir alles, ich war auch fasziniert. Nicht ahnend, was dieser kurze Aufenthalt für Konsequenzen haben sollte, setzte ich mich dann an den Tresen des schon berühmten Kinos, zu dessen Abendfilmen die Cinéasten aus der Ulmer Gegend, vom Bodensee und aus dem Bayrischen hinter dem Fluß Iller und aus dem verhältnismäßig umfangreichen Landkreis fuhren, um Filme zu sehen, die in den Kinos ihrer Städte und Städtchen nicht gezeigt wurden; auch, um dieses Kino, in dem sich nach der Vorstellung noch ein gepflegtes Bier trinken ließ, ohne dafür die Lokalität wechseln zu müssen, in Augenschein zu nehmen. Viele kamen oft wieder, scheuten die Anfahrt nicht. Mit Marlies und Ernst, ein Paar, beide nur wenig älter als ich, die aus dem bayerischen Schwaben um Memmingen und Kellmünz zum Kinobesuch eintrafen, befreundete ich mich rasch; bis in die achtziger Jahre hinein blieben sie treue Besucher auch der anderen Kinos an Waldseer Straße und Saudengasse, dann kamen sie seltener, schließlich fast nie mehr, berufliche Veränderungen und andere Interessen hatte ihre Ansprüche an sie gestellt. „Wenn du willst“, sagte Adrian K., „kannst du ja als Aushilfsvorführer anfangen, ich kann einen zuverlässigen Mann noch brauchen.“ Einen Job hatte ich ja nicht; einen Kinojob zu haben, der mich nicht sonderlich beanspruchen würde, wäre vielleicht lustig, ich könnte mir alle Filme ansehen, ohne dafür zu bezahlen ..., so gingen meine Gedanken. Einer Laune und meiner Filmsucht, die sich mit der Eröffnung dieses Kinos wieder bemerkbar gemacht hatte, nachgebend, sagte ich ja. So begann meine Arbeit im Kino, zunächst für zweieineinhalb Jahre ohne feste Anstellung, dann als „technischer Angesteller“, in der Mitte des Oktobers 1978. Mitte Juni 1997 beendete ich sie. Viel geschah in dieser langen Spanne Zeit, nur wenig erzähle ich davon.
- Bis mittags grau. Am Nachmittag zogen die Wolken sich auseinander und zwangsläufig hatten die Lichtstrahlen freie Bahn; das änderte sich aber nach einer Stunde wieder.
Drei Jahre später, in der Mitte eines anderen Oktobers, saß ich spätabends, wie oft, in einem der kleinen Barsessel an der Theke des „Sternchen“-Kinos, Freunde um mich herum belegten die drei anderen und standen am Tresen, wir tranken Altbier, Pils und Rotwein und Bommerlunder, jeder das, was ihm seine Abenddroge war, und Adrian K. stand hinter der Theke, schenkte aus und nach und war ganz aufgeräumter Stimmung, und es ist nicht auszuschließen, daß auch die Buddy Holly-Kassette lief und diesen Rock’n Roll aus den fünfziger Jahren durch die kleinen Boxen an der Gläserwand, dem dunklen Möbel, jagte. (In der Vierer-WG in der Stuttgarter Senefelder Straße, in der ich für wenige Wochen mein Zimmer gehabt hatte, hatte Bärbel – inzwischen mit neuem Freund – häufig die Songs von Billie Holliday laufen lassen.) Im Oktober 1978 trug ich die Absicht im Kopf, mich an den Filmhochschulen zu bewerben und aus diesem Grund, um eben über alles, was mit Film und Kino (Fernsehen schätzte ich nicht sehr) zu tun hat, Bescheid zu wissen, die technischen Aspekte zu kennen, denn mir war ja wohl bewußt, daß Film eine sehr technische Kunstform war und ist, im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit, und auch aus einer Neugierde heraus, die vom Weingenuß beflügelt wurde, fragte ich den Kinobesitzer, ob ich einmal einen „Blick hinter die Kulissen“ des Kinos werfen könne, den Vorführraum betreten dürfe, um zu sehen, wie es dort zuginge. Ein fataler Gedanke. Wie es dort zuging, sollte ich von diesem Tag an bis zum 18. Juni 1997 gut genug erfahren. Der Kinomann also erwiderte, er spreche mit seinem (um einige Jahre älteren) Bruder, der für alles Technische im Betrieb zuständig sei, daß er mir im Vorführraum alles erkläre. Ich solle abends (eines der folgenden Tage) zur bekannten Anfangszeit für den „Urania“- oder „Sternchen“-Film anwesend sein. Ich stand dann also in diesem dunklen, schlauchartigen Raum, an dessen Ende ein Fenster den Blick auf das Kaufhaus X, einen Teil des Wieland-Gymnasiums und die Straßen und den großen Parkplatz davor ermöglicht, und an dessen Ende auch nach rechts, wenn man hereintrat, der viel kleinere Raum, auch er mit einem Fenster, vor dem – ich sollte es bald wissen – , der Rollo fast ständig heruntergelassen war, für die Projektion der „Sternchen“-Filme eingerichtet ist. Vor dem Bau des „Sternchens“ zu Anfang des Jahres 1978 war dieser Raum, den dann das neue Kino einnahm, für Kinozwecke ungenutzt geblieben, nur der Vorführraum für das Abspielen der „Urania“-Filme hatte, vielleicht größer, existiert. Licht aus zwei sehr altmodischen Lampenschalen an der Decke erhellte den Raum trübe, wenn man die „große“ Beleuchtung einschaltete; nun am ersten Abend meiner Anwesenheit warfen die beiden altertümlichen Wandlampen, die über den Projektionsfensterchen zum Saal unten hin angebracht waren, Bündel von konzentriertem, hellerem Licht zum Arbeiten an die zwei mannshohen (und die oberste Spule ragte, wenn sie aufgeflanscht war, noch um einige Zentimeter höher hinauf) Projektoren der Firma Bauer und zwischen ihnen hindurch. Und auch das Fenster am Ende des Raums war schon geschlossen und mit dem Rolladen verdunkelt, denn das ohnehin nicht sehr helle Oktobertagschimmern, das durch dieses Fenster tagsüber, wenn keine Vorstellungen gespielt wurden, herein fand, hätte die Projektion des „Sternchen“-Films von hinten aufgehellt und ausgebleicht; deshalb mußt es immer, ob im Winter, ob im Sommer, geschlossen sein, wenn im „Sternchen“ das Programm lief. Claus K. zeigte mir alles, ich war auch fasziniert. Nicht ahnend, was dieser kurze Aufenthalt für Konsequenzen haben sollte, setzte ich mich dann an den Tresen des schon berühmten Kinos, zu dessen Abendfilmen die Cinéasten aus der Ulmer Gegend, vom Bodensee und aus dem Bayrischen hinter dem Fluß Iller und aus dem verhältnismäßig umfangreichen Landkreis fuhren, um Filme zu sehen, die in den Kinos ihrer Städte und Städtchen nicht gezeigt wurden; auch, um dieses Kino, in dem sich nach der Vorstellung noch ein gepflegtes Bier trinken ließ, ohne dafür die Lokalität wechseln zu müssen, in Augenschein zu nehmen. Viele kamen oft wieder, scheuten die Anfahrt nicht. Mit Marlies und Ernst, ein Paar, beide nur wenig älter als ich, die aus dem bayerischen Schwaben um Memmingen und Kellmünz zum Kinobesuch eintrafen, befreundete ich mich rasch; bis in die achtziger Jahre hinein blieben sie treue Besucher auch der anderen Kinos an Waldseer Straße und Saudengasse, dann kamen sie seltener, schließlich fast nie mehr, berufliche Veränderungen und andere Interessen hatte ihre Ansprüche an sie gestellt. „Wenn du willst“, sagte Adrian K., „kannst du ja als Aushilfsvorführer anfangen, ich kann einen zuverlässigen Mann noch brauchen.“ Einen Job hatte ich ja nicht; einen Kinojob zu haben, der mich nicht sonderlich beanspruchen würde, wäre vielleicht lustig, ich könnte mir alle Filme ansehen, ohne dafür zu bezahlen ..., so gingen meine Gedanken. Einer Laune und meiner Filmsucht, die sich mit der Eröffnung dieses Kinos wieder bemerkbar gemacht hatte, nachgebend, sagte ich ja. So begann meine Arbeit im Kino, zunächst für zweieineinhalb Jahre ohne feste Anstellung, dann als „technischer Angesteller“, in der Mitte des Oktobers 1978. Mitte Juni 1997 beendete ich sie. Viel geschah in dieser langen Spanne Zeit, nur wenig erzähle ich davon.
- Bis mittags grau. Am Nachmittag zogen die Wolken sich auseinander und zwangsläufig hatten die Lichtstrahlen freie Bahn; das änderte sich aber nach einer Stunde wieder.
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Klaus-Dieter Diedrich (1951-2006): "Die Biberacher Zeit"

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