13.10.2002
Der Genosse Ulrich W. bemühte sich für mich nach einer Wohnungsmöglichkeit in Stuttgart. Ich stand noch in Verbindung mit ihm, obwohl wir uns schon aus den Augen zu verlieren begannen. Jene Notunterkunft im Westen der schwäbischen Großkleinstadt behauste ich nur eine Nacht, soviel ich davon noch weiß. Uli W.mußte, während ich in der Wohnung in der Lindelestraße das Papier holte, noch einmal den Quartiermeister für mich spielen. Einer seiner Bekannten, Genosse oder nicht, wohnte mit seiner hübschen Freundin im ehemaligen Pfarrhaus von Untertürkheim. Er hieß Meckseper. Als ich in Stuttgart zurück war, fuhr Uli mich in den Stadtteil und stellte mich dort vor. Der junge Mann war etwas älter als ich und sehr freundlich, ich war willkommen, mein Lager für vorübergehende Zeit auf seinem Sofa in einem Zwischenraum einzunehmen. Wie hatte ich die IBM nach Stuttgart mitgenommen? Oder hatte ich einen meiner Bekannten in B. dazu überredet, mich und das schwere Gerät (und andere Utensilien) nach S. zu kutschieren? Oder war ich mit Hans-J. F., dem Noch-Ehemann von Elian, gefahren? Die IBM machte mich jedenfalls bei meinen Gastgebern interessant. Ich postierte sie auf einem Tisch im vorderen Zimmer, so daß die beiden, die mich so nett und verständnisvoll aufgenommen hatten, auch auf ihr schreiben konnten (obwohl das auch in dem Zwischenraum möglich gewesen wäre, denn nie wurde er abgeschlossen); auch sie durften, das gebot schon die Höflichkeit, auf ihr schreiben. Ich erklärte ihnen die Bedienung der Maschine. Ich schrieb auf ihren Tasten, die sehr schnell und leicht anschlugen, und sofort – tick – stand ein schöner Buchstabe auf dem Papier, höchstens Exposés für SF-Romane und ähnliche Kleinigkeiten und kaum etwas für die Uni. Die Uni ...; eines düsteren Morgens im Oktober 1974 ging ich auf die beiden Kollegien-Hochhäuser in der City zu, neben, vor, hinter mir trabten Kommilitoninnen und Kommilitonen, wie das jetzt hieß, bepackt mit Taschen, auf das Universitätsgelände zu, und ich wußte plötzlich: hier wirst du nicht alt. Die Vorlesungen des Professors Greiffenhagen, eines Konservativismusexperten, waren überfüllt, und was er erzählte, langweilte mich schon nach einigen Terminen. Ich begann mich zu fragen, was ich mit diesen Inhalten anfangen sollte. Ich war nur auf linke Theorie erpicht. Ein Seminar zur Thematik der internationalen Beziehungen, eine Standardveranstaltung, wurde von einem schon kurz vor der Emeritierung stehenden Knacker geleitet; ich ging dreimal hin und hörte zu, was sein Lieblingsschüler eifrig von sich gab und blieb dieser etwas gruseligen Angelegenheit danach fern. Im Seminar „Sozialutopien“, das Dr. Herrmann Scheer, ein Assistent, in seine schwarze Lederjacke gekleidet, gab (seit Legislaturperioden sitzt Dr. Scheer als SPD-Spezialist für Sonnenenergie und einer von wenigen, die die ursprünglichen Ideen und Anliegen dieser Partei noch nicht ganz vergessen haben, im Bundestag), das ich blöderweise belegt hatte, obschon ich die Schriften, die hier gelesen und diskutiert wurden, vor etlicher Zeit in Biberach, im Zusammenhang mit der Rezensionstätigkeit bzgl. Science Fiction, konsumiert hatte, schlich sich der Überdruß, auch die Unwilligkeit, ein und begann anzusteigen. (Was mit den pädagogischen Fähigkeiten des Seminarleiters gar nichts zu tun hatte, nur mit meinem Vorwissen.) Immerhin war ich dort noch am häufigsten anzutreffen. Ich machte während dieser Seltsamkeit, Studium genannt, übrigens keinen einzigen „Schein“. Das Semester lief so vor sich hin, der Winterhimmel schneite Schnee herunter, ich war einen Tag lang auf Wohnungssuche, danach ließ ich das bleiben. Im Pfarrhaus in Untertürkheim, der Herberge für den armen obdachlosen Studiosus, war es mir eng geworden, doch wohin? Meckseper – sein älterer Bruder hatte in den siebziger Jahren einigen Erfolg als Künstler, und wahrscheinlich auch später – ließ mich auf diskrete Weise wissen, daß mein Sofaplatz nicht auf Dauer gesichert sei. Dann verursachte ich in Abwesenheit meines Gastpaars auch noch die Peinlichkeit einer Wasserüberschwemmung; ich hatte, wie oft, Alkohol im Blut, nicht zu wenig, deshalb kann ich nun nicht detailliert rekonstruieren, wieso mir das passierte, daß irgendein Wasserhahn nicht richtig zugedreht war. Es passierte, ich wischte auf, beichtete, als man sich abends begegnete, den unangenehmen Vorfall. Sie taten, als sei alles nicht so dramatisch, doch dachte ich an Abschied. Endlich kamen die Weihnachtsferientage. (Stand die IBM zu dieser Zeit noch im Pfarrhaus? Ich hatte sie doch in Biberach benutzt, als ich an den Wochenenden in der Lindelestraße war.) Ich drückte, mehr hatte ich nicht, Meckseper einen Fünfzig-Mark-Schein in die Hand, dankte „für alles“, packte meine Tasche und verdrückte mich. Nie mehr im Winter in der S-Bahn von Untertürkheim in die Stuttgarter Innenstadt fahren müssen! Wahrscheinlich hielten die beiden mich für einen ziemlich fragwürdigen Knaben. Ich hielt mich ja selber für einen solchen.
- Den ganzen Tag über fiel wässriger Schnee. Düsterer Tag.
13.10.2002
- Den ganzen Tag über fiel wässriger Schnee. Düsterer Tag.
13.10.2002
13.10.