7.9.2002
Am 7. September 1979 gab ich in den Räumen der Töpferei am Weberberg, die dem Geburts- und Elternhaus der Leupolz-Geschwister gegenüber liegt, zu meinem achtundzwanzigsten Geburtstag eine Party; eine Lesungs-Party mit Jazz live. Robert G., mit dem ich über Charles, meinen Zimmernachbarn in der Karpfengasse 24 bekannt geworden war (der nach einem Praktikum in einem Architekturbüro in Rotterdam zu einem Zweitstudium nach Berlin gegangen war), hatte mir in den Wochen zuvor das freundschaftliche Angebot unterbreitet, meine Party doch in seinen Werkstatträumen stattfinden zu lassen. Im Frühjahr jenes Jahres, in dem ich depremiert und äußerst schreibunlustig gewesen war, hatte er mir eines Tages vorgeschlagen: es wäre doch amüsant, wenn er und ich, jeder für sich, kurze Geschichten nach einem Thema, das wir uns wechselseitig stellen könnten, schrieben, so entstünden bestimmt ein paar Texte. Ich ließ mich, nicht ganz überzeugt vom Nutzen dieser Schreibtherapie, auf sie ein. R., ein schlanker junger Mann, etwas jünger als ich, gut aussehend mit langen dunklen Haaren und mit ruhigem Wesen, und ich verfaßten also kurze Texte und überreichten sie bei der nächsten Begegnung einander. Ab und zu kam er ins „Sternchen“ zu einem Film, dann fanden dort die Übergaben statt. Oder ich besuchte ihn in seinem Laden, in dem kunstvoll geformte irdene Gefäße und zierliche Figuren in Regalen und auf Tischen und Fensterborden für die Käufer aufgereiht waren. Die beiden Räume dufteten nach Ton, Lehm, Erde, Holz. Vier oder fünf dieser kleinen Geschichten wurden auf’s Papier gesetzt, eine hatte den Titel „Pfefferminztee bei Gesina von Woyski“, und die las ich am Abend des 7. Septembers im hinteren Raum, und andere. Aber bevor es dazu kam, kauften Charles (der noch vorlesungsfreie Zeit hatte) und ich im strahlend-schönen Vormittag in einem sehr großen Supermarkt im Stadtteil Birkendorf, unterhalb des Talfeldes (auf der Talfeldseite hinter der Straße, die nach Ulm führt, frißt eine Erdwunde am Hang: eine der Kiesgruben nahe der Stadt), alles ein, was an so einem Abend aufgetischt werden mußte. Im Einkaufswagen schob ich Bier-, Wein- und Schnapsflaschen, Salzgebäck, Baguettes, Wurst, Käse, Oliven, Tomaten, Gurken, Butterstücke und dies und jenes zum blauen 2CV-Citroen, den Charles damals fuhr, ein lustiges Automobil, das längst nicht mehr das Straßenbild aufheitert. Meine langen Haarsträhnen baumelten herum, als ich alles im Kofferraum verstaute, während Charles ein Foto von der Szene machte. Es ist natürlich noch bei den Akten. Wir schaukelten – die 2CVs waren gut gefedert und gerieten zuweilen in eine Wippenbewegung – durch die Biberacher Innenstadt zum Weberberg, wo ich die Sachen in einem kleinen Nebenraum zum Vorderraum, der als Ausstellungsraum benutzt wurde, deponierte und mich bald hinauf zum Hühnerfeld fahren ließ. Am frühen Abend, schon etwas angeschickert, aber Törnung hatte ich ja meistens im Kopf, wanderte ich geruhsam durch die spätsommerlich eingetönte Luft, auf Straßen, auf denen ich da und dort links oder rechts abbog; die Rosen blühten ab und andere Blumen und Gewächse gaben mir ihre Düfte ab. Im Nebenraum der Werkstatt bereitete ich die Häppchen zu, schnitt, schmierte, belegte, legte zur Seite. Auf großen Platten stapelten sich die dekorierten Baguettescheiben. Hin und wieder ein Schlückchen Wein dabei, so machte das Spaß. Die Jazzband kam und baute ihr Instrumentarium auf. Markus M. und seine Mannen. Die ersten Gäste traten nach zwanzig Uhr ein und ich bekam Geschenke oder auch nicht und das war auch nicht so wichtig, nur eines: einen guten Abend zu haben. Die Räume füllten sich, zu den Snacks und den Getränken wurde gegriffen, Zigarettenrauch kräuselte zur Decke empor, die Band spielte ein erstes Stück. In den engen Mauern wurde es laut. Das Schlagzeug polterte, das Saxophon schrillte, die Gitarrenriffs jaulten durch die Mauern und die offene Tür hinein in die kleine Stadt. Auf einem winzigen Podest an der hintersten Wand stand mein Tischchen, hinter das ich mich auf den Holzstuhl klemmte und Geschichten ins Mikrofon nuschelte. Ich las vier Texte, darunter auch „Der Wartende“. Jeweils nach einem Stück Lesung legte die Band wieder los, auf deren Musik die Zuhörer sicherlich mehr warteten als auf meine kleinen Zugaben. Stefan K. drückte mir später am Abend sein Geschenk in die Hand: hübsch mit Geschenkpapier umwickelt: ein solider Backstein. „Der Grundstein zu deiner Karriere“, schmunzelte er; dies entsprach ganz seinem ironischen Temperament. Ich nahm ihn dankend entgegen und bewahrte ihn immer sorgfältig auf, aber das mit dem Grundstein funktionierte irgendwie nie. Vor zwei Jahren und einigen Monaten, bei meinem Umzug von der Veteranen- in die Brunnenstraße, gelangte er mir wieder in die Finger, und er wird stets bei den Akten bleiben.
- Sonnig, warm, nachmittags deckten weißliche Wolken eine vorüber wandernde Schicht unter’s Blau. Mild-sonniger Abend.
7.9.2002
- Sonnig, warm, nachmittags deckten weißliche Wolken eine vorüber wandernde Schicht unter’s Blau. Mild-sonniger Abend.
7.9.2002
07.09.