5.9.2002
Im Wielandturm, einige Meter vom Hauptgebäude des Schlosses von Warthausen auf der Anhöhe vor einem steil abfallenden bewaldeten Hang abseits gelegen, über dem westlichen Ortsteil der Gemeinde Warthausen – die sich nördlich vier oder fünf Kilometer von Biberach entfernt im Tal der Riß (ein Bach eher als ein Flüßchen, der jedoch Geologen nicht ganz unbekannt sein sollte, gab er doch einem regionalen Erdzeitalter den Namen „Rißeiszeit“) nach dieser und jener Richtung nicht allzuweit ausbreitet – , unter und zwischen hochgewachsenen Bäumen, die im Sommer ihr Blätterwerk in diesem Bereich des ausgedehnten Anwesens ausspreizen und den Weg zum Turm beschatten, war ich zum ersten Mal Ende der siebziger Jahre, oder schon in ihrer Mitte, als U.G., jener, dem jenes Haus- und Hofgelände, in dem 1974 Freunde von mir wohnten, am oberen Ende des Bismarckrings neben dem Autohaus M. gehörte (zweifellos besitzt er es noch immer), im zweiten der beiden Stockwerke, in einem Raum mit quadratischem Grundriß, ein sommerlich-abendliches Fest ausrichtete, auf dem ich mich aber kaum länger als eine Stunde aufgehalten haben mochte. Ich trank nur ein Glas Rotwein, redete small talk mit beiläufigen Bekanntschaften und kümmerte mich nach einer Stunde darum, von jemandem mit Auto in die Stadt zurück mitgenommen zu werden. Zum zweiten und dritten Mal saß ich zwischen den beige-weiß getünchten Wänden, als Mario K. dort wohnte; Mitte der achtziger Jahre. Mario, mittelgroß, dunkelhaarig, mit einem schmalen ansprechenden Gesicht, damals noch von ein paar Zukunftsjahre von seinem vierzigsten Geburtstag getrennt, von zuweilen heftig reagierendem impulsiv-wilden Charakter, mütterlicherseits aus einer berühmten Familie mosaischen Glaubens, von der viele von den Nazis umgebracht worden waren, stammend, väterlicherseits von serbischem Blut, lebte im Wielandturm als Dichter und Angestellter derer von Koenig-Warthausen und führte Besucher, denen die Geschichte des Schlosses und Wielands Beziehung zum ihm etwas sagte und die einmal am Ort sich umsehen wollten, durch die Gänge, Hallen, Räume, ins Wielandzimmer. In den sechziger Jahren des 18. Jahrhunderts war der schon damals weithin berühmte Dichter, dessen Geburtsort Oberholzheim etliche Kilometer von Biberach entfernt im Oberschwäbischen ein beschauliches Dorf auch heute ist, nach dem Schulbesuch in Biberach und Magdeburg, nach Aufenthalt in Erfurt, Jurastudium in Tübingen und Gast im Hause von Bodmer in Zürich, wo er auch als Hauslehrer wirkte, Senator und Kanzleiverwalter in Biberach und begann 1761 mit seinen Besuchen bei Friedrich Graf von Stadion (einem Günstling des Fürstbischofs von Mainz) und Georg Michael von La Roche, dem Sekretär des Grafen, der seit 1754 mit Wielands erster Liebe Sophie La Roche verheiratet war, auf Schloß Warthausen, wohin er sich gern von der ungeliebten Verwaltungsarbeit im nicht immer dankbaren Biberach in ein eigenes Zimmer zurückziehen konnte und an den Lustbarkeiten eines kleinen Rokoko-Hofes teilnahm. 1769 verließ W. Biberach – „von Biberach erlöset zu sein, wäre Glückseligkeit ...“ – wegen einer Professur in Erfurt, 1772 berief Anna Amalia ihn an den Hof zu Weimar als Prinzenerzieher. Danach Freundschaft mit Goethe, Schiller, Herder etc.. etc., „Teutscher Merkur“, Romane, Erzählungen, Dichtungen.
1986 oder ein Jahr danach, als Klaus L. und ich Mario Katz auf einer Party von Jürgen K., dem Philosophen, zum ersten Mal begegneten (und wenn ich mich nicht irre, war mit ihm der schon sehr alte amerikanische Stummfilmschauspieler Norman P. auf der Party anwesend), war dieser ehemalige Wasserturm des Schlosses, der den Dichternamen trug, Marios Domizil. Das Dorf unterhalb des Schlosses lag nicht in tiefem Schnee, als Leupolz, Thomas G. und ich K. besuchten, sondern im hellsten Sommerlicht, das durch die Blätterdecke über dem Kiesweg funkelte, und wir kamen nicht spätabends, vielmehr spätnachmittags an. Jahre waren seit der Party von U.G. vergangen, aber ich entsann mich des Ambientes, das sich nun während Marios Anwesenheit freilich verändert hatte: Schreibtisch, Bett, kleine und große Schränke innerhalb der eingegrauten weißen Mauern, die vollgestopfte breite Bücherregalwände (mit einer Bücherleiter, denn die Bücherreihen reichten bis unter die Decke hinauf) nicht überall verdeckten, und Bücher lagen da und dort herum; im Raum im zweiten Stockwerk. Wein und Gläser standen auf dem Tisch, über Literatur und das Schloß wurde gesprochen, über Wieland.
- Haufenwolkenlandschaften unter der Ätherbläue. Fast noch heiß. Die Dämmerung ist von 20 Uhr an schon fast ganz dunkel.
5.9.2002
1986 oder ein Jahr danach, als Klaus L. und ich Mario Katz auf einer Party von Jürgen K., dem Philosophen, zum ersten Mal begegneten (und wenn ich mich nicht irre, war mit ihm der schon sehr alte amerikanische Stummfilmschauspieler Norman P. auf der Party anwesend), war dieser ehemalige Wasserturm des Schlosses, der den Dichternamen trug, Marios Domizil. Das Dorf unterhalb des Schlosses lag nicht in tiefem Schnee, als Leupolz, Thomas G. und ich K. besuchten, sondern im hellsten Sommerlicht, das durch die Blätterdecke über dem Kiesweg funkelte, und wir kamen nicht spätabends, vielmehr spätnachmittags an. Jahre waren seit der Party von U.G. vergangen, aber ich entsann mich des Ambientes, das sich nun während Marios Anwesenheit freilich verändert hatte: Schreibtisch, Bett, kleine und große Schränke innerhalb der eingegrauten weißen Mauern, die vollgestopfte breite Bücherregalwände (mit einer Bücherleiter, denn die Bücherreihen reichten bis unter die Decke hinauf) nicht überall verdeckten, und Bücher lagen da und dort herum; im Raum im zweiten Stockwerk. Wein und Gläser standen auf dem Tisch, über Literatur und das Schloß wurde gesprochen, über Wieland.
- Haufenwolkenlandschaften unter der Ätherbläue. Fast noch heiß. Die Dämmerung ist von 20 Uhr an schon fast ganz dunkel.
5.9.2002
05.09.