31.8.2002
Der junge Rauschgoldengel, der zwanzig Jahre früher im Mai 1976 eines Abends vor meinem Schreibtisch saß (auch er), war der Typ, dem ich im Sommer zuvor die langen Haare zerwühlt hatte. Er rauchte eine Zigarette und sagte: „Freunde können wir werden, aber Sex ist nicht drin.“ Ich nahm es zur Kenntnis und wollte ihn dennoch kennenlernen. „Von was lebst du eigentlich?“, wollte er – auch er, meine Existenzform ließ wohl solche Fragen aufkommen – wissen. Er sah die rote IBM, die vor mir auf der Schreibtischplatte behäbig ruhte. Ich tätschelte sie und entgegnete: „Schreibe ab und zu etwas.“ „Honorare?“ Ich zuckte, von dieser unangenehmen Frage gestört, die Schultern. „Manchmal“, war die Antwort. Es stimmte ja. Manchmal hatte ich für das Geschriebene Geld erhalten. Das letzte Mal, daß dies wahr geworden war, lag allerdings ein Jahr oder länger zurück. „Ich warte in diesen Tagen auf meine Bafög-Nachzahlung.“ „Aber du studierst doch nicht.“ „Nicht mehr.“ Die Rückmeldefrist für das Sommersemester war abgelaufen. Der junge Typ war neugierig. Ich erzählte, vom Wein animiert, eine ganze Menge, er trank wenig. Was er sagte, machte mir klar, daß er was im Kopf hatte. Das war schon mal etwas. Mal sehen, was daraus wird, dachte ich, als er ging und vor dem Karpfengassenhaus auf sein Mofa stieg. Wir sahen uns dann hin und wieder, auch im „Strauß“, mir war es angenehm, mich mit ihm zu unterhalten, sein schnelles Denken fand ich nicht weniger attraktiv wie sein Äußeres; zuweilen ging er mir auf die Nerven, wenn meine erotische Unruhe ins Leere laufen mußte. Viel wurde daraus nicht. Er wurde – leider – mein Favorit, allerdings nur in platonischer Weise. Viel sagen ließ er sich auch nicht. Auch er stammte aus gehobenem Hause und das trat aus jedem Satz hervor. Besonders „progressive“ Ansichten hatte er nicht, was mich immer wunderte, denn mir war unverständlich, wie man als intelligenter junger Mann sich in reichlich konventionellen Strukturen wohl fühlen konnte. War auch das nicht ein Zeichen dafür, daß die linke Zeit der Siebziger in Agonie lag? Noch fünf Jahre zuvor wäre er (vielleicht) bei Demos mitgelatscht. Später schaffte er sich eine Freundin, die ein paar Jahre älter als er war, als er noch immer zur Schule ging, an, was meine ersten Eifersuchtsgefühle evozierte, die ich gelegentlich schlecht im Griff hatte. Einmal waren beide bei mir, in der Zeit, in der ich das große Zimmer bewohnte; sie begannen vor meinen Augen mit Zärtlichkeiten, und für einen flotten Dreier war ich nicht zu haben, ich schmiß sie wütend raus. Sie nahmen mir das aber danach nicht übel, im März 1978 grillten wir zu dritt im noch nicht warmen Sonnenlicht vor der Stadt und auch in die Wohnung dieser Freundin wurde ich, in kleiner Runde, zum Essen eingeladen, zu der Zeit, als das „Sternchen“ schon eröffnet war und ich einmal nach so einem Essen dort in der Zwanzig-Uhr-Vorstellung saß. Er schrieb mir Postkarten aus den USA und Frankreich, trennte sich von der Freundin, die die Stadt verließ, machte sein Abitur; meine Gefühle waren abgeflaut, endlich, und als er zum Studium ging, war auch diese manchmal für mich schwierige Freundschaft Vergangenheit geworden.
- Sommerwetter, nachmittags der blaue Äther stärker von Wolken abgedeckt.
31.8.2002
- Sommerwetter, nachmittags der blaue Äther stärker von Wolken abgedeckt.
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31.08.