29.8.2002
In der nordwestlichen Ecke (auch vor ihr stapelte sich das Baumaterial), im Sand des wie ausgeschlachtet wirkenden Hohlraums des Erdgeschosses standen nun die Scheinwerfer und leuchteten die Ecke aus; vor die rohe staubige Backsteinmauer war ein Hocker in den Sand gestellt worden, und diese Mauer war für das kerkerhaft-krude Ambiente, das Lost umgeben sollte, genau die richtige Deko. Es dauerte wieder eine Weile, bis das Licht so fiel, wie V. es wünschte. Ich saß abseits, schon etwas erschöpft, es ging auf vier Uhr zu. Im höhlenhaften Museum roch es nach Alter und Bau. Wie unbeteiligt sah ich den Vorbereitungen für die zu drehende Szene zu, sinnierte in mich hinein. Ich saß auf einem kleinen Holzstapel; Achim, der Standfotograf, blitzte Aufnahmen vom Set. Raphael ging vorbei. „Ich muß jetzt gehen“, sagte er leise mit seiner schönen Stimme. Ich dankte ihm, daß er so lange Ausdauer gezeigt hatte. Der Junge mußte in wenigen Stunden zur Schule und jetzt noch nach Äpfingen, zu einer kleinen Ortschaft nördlich von Biberach, radeln. Ich sah ihm versonnen nach. Auch andere vom Team und auch die Darsteller der „linken Gruppe“ waren längst gegangen. Ich hatte es aufgegeben, V. davon zu überzeugen, daß wir alle inzwischen müde waren und daß die Aufnahmen nun nichts mehr erbringen würden. Sie wollte aber diese Szene unbedingt noch filmen. Dann war die Reihe an mir, auch einmal etwas Produktives beizutragen. Ich zog das Hemd aus, das Unterhemd, setzte mich auf den Hocker, ließ die langen Haare verzweifelt-resigniert vom gesenkten Kopf hängen; übte das mehrfach. So schwer fiel mir das nicht. Herbert, immer noch Mephisto, stand seitlich hinter mir, schlug mir spöttisch eine Haarsträhne zurück, während er – ich sah es in diesem Augenblick nicht, wußte aber, wie es aussehen mochte – sardonisch grinsend mir seinen Text, Mephistos höhnische Sentenzen, ins rechte Ohr säuselte. Erster Take, zweiter Take, dritter ... Mich fror auf sehr unangenehme Weise. Ich wurde ungehalten. Valérie stand gebeugt hinter der auf das Stativ aufgesetzten Kamera und wollte immer noch eine Aufnahme mehr. Ich wurde wütend, erhob mich plötzlich, brüllte: „Mein Hemd!“ Jemand von den im Halbdunkel außerhalb der Szene Stehenden reichte es mir, ich zog es über. Valérie protestierte. „KD, wir müssen das noch machen!“ „Ich friere, verdammt noch mal, und ich habe keine Lust dazu, mich zu erkälten, das ist der Sache nicht dienlich, wenn ich demnächst ausfalle!“ Solche Worte, und noch einige dazu, schleuderte ich von mir. Die Umstehenden sahen betreten drein. „Noch zwei Takes, dann ist aber Schluß!“, befahl ich herrisch, zog das Hemd aus, hockte mich hin, Herbert stellte sich wieder in Positur. Rasch waren nun die beiden Aufnahmen beendet; ich zog mich an und sah sehr wohl, wie sauer „meine“ Regisseurin war. Das Team beeilte sich jetzt, alles abzubauen, hinaus zu tragen in einen schon hell aufdämmernden Morgen. Das geschah, ohne daß viel geredet worden wäre. Mein Auftritt war wohl unpassend gewesen. V.s Freund, der als „Supervisior“ auch bei anderen in jenen Wochen entstehenden Filmen des städtisch/baden-württembergischen Kulturprojekts behilflich war und in dieser Nacht beim Lichtaufbau geholfen hatte, und der mir in einer Januarnacht von 1996 auf dem sonst menschenleeren Marktplatz der Stadt zugesichert hatte, daß ich Ausschnitte aus seinem Film, in dem der brennende „Strauß“ zu sehen war, haben könne, fuhr mich vor den Wohnblock auf dem Hühnerfeld. Ich sagte ihm, daß ich wüßte, daß mein Verhalten vorhin Valérie wahrscheinlich nicht gefallen hatte; ich würde sie nachmittags anrufen. Er meinte, das sei vielleicht eine gute Idee. Mit dem Lift stieg ich hinauf in den fünften Stock und legte mich ins Bett. Am späten Nachmittag stand ich in der Telefonzelle am Eingang zum Mali-Weg – zwischen Mali- und Braith-Weg rinnt der von steilen Böschungen gesäumte „Ratzengraben“, vor und auf dessen abfallenden Wänden im Jahr 1996 noch mehr Bäume und Sträucher als im inzwischen renaturierten Zustand ihr Blattwerk verbreiteten – und versuchte, Valérie mit einer Entschuldigung zu besänftigen; aber ich hörte nur das Freizeichen und nicht ihre Stimme.
- Stetige Hitze, blauer Äther, blaßweiße Wolken.
29.8.2002
- Stetige Hitze, blauer Äther, blaßweiße Wolken.
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29.08.