26
Aug

26.8.2002

Im August 1996 drehten Valérie Lasserre und ich die letzten Szenen unseres Films „Lost in Illusions“, assistiert von Sabine R., die für die Ausstattung zuständig war. Sabine, gelernte Dekorateurin, die in den achtziger Jahren in München für die damals berühmte Gruppe „Münchner Freiheit“ das Bühnenbild erstellt hatte, war zwei Tage, bevor Valérie und ich den Nachtdreh hinter uns brachten, beim Chefdekorateur des Kaufhauses X – so hieß es wirklich, letztes Jahr wurde es geschlossen – vorstellig geworden, mit der Bitte, am Abend, für den der Dreh geplant war, die breiten hohen Schaufenster an beiden Fronten, zum Parkplatz und zur Saudengasse hin und entlang des Bürgersteigs der Rollinstraße, länger als üblich beleuchtet zu lassen; denn wir wollten unsere Aufnahmen nach zweiundzwanzig Uhr drehen, weil wir auch das große Ziffernblatt einer Normaluhr, die nur wenige Meter vom Kaufhaus entfernt steht, mit seiner Zeitanzeige brauchten und ihre Zeiger mußten im Film aus bestimmten Gründen des Anschlusses an die Geschichte, die er erzählt, eine Zeit nach zweiundzwanzig Uhr angeben. Wir trugen Stativ, Videokamera, Kabel von der Wohnung in der Innenstadt, in der Valérie bei ihrem damaligen Freund U. Stöckle, einem Journalisten und Filmemacher, lebte, vor das Kaufhaus und begannen mit dem Dreh. Im Licht der Schaufenster gucke ich in diese hinein, was allmählich mit Musik unterlegt ist (wurde natürlich später hinzugefügt). Das Kameraauge guckt – mein subjektiver Blick, der Blick des Filmprotagonisten – die Normaluhr an. Dann männliche, stumme Schaufensterpuppen. Ich wußte nicht mehr, ob ich in der Szene, die dieser in der Filmhandlung vorangestellt ist, die weiße Schiebermütze aufhatte, denn diese Szene war Wochen zuvor gedreht worden, und Raphael, unseren Continuity-Mann, hatten wir für diesen Drehtermin in einer lauen Augustnacht nicht hinzugezogen. Ich setzte die Kappe auf, scherte mich nicht um dieses Detail. Die zweite location befand sich nur ein paar Meter entfernt, wir überquerten die Rollinstraße, verharrten vor den beiden gelben Telefonzellen. Sabines Unterstützung wurde nicht mehr gebraucht, sie fuhr nachhause. Valérie – zierlich, sehr hübsch, um etliche Zentimeter kleiner als ich, mit einer großen dunkel gelockten löwenkopfähnlichen Haarhaube – und ich quetschten uns in eine der engen Telefonzellen. Lost, also ich (oder wer?) mußte eine Nummer in Berlin anrufen. Das tat Lost. Ich wählte nicht die Nummer von Losts Lover in Berlin, Lost wählte die Nummer meiner Kusine im Prenzlauer Berg. Denn mir war bekannt, daß sie in diesen Augusttagen irgendwo in nördlichen Ländern ihren Urlaub verbrachte. Wir benötigten das Tüüt-tüüt am anderen Ende, an dem niemand abheben durfte. Wir wiederholten die Szene, auch in ihr mußte ich nur gucken, zunächst erwartungsvoll, dann zunehmend enttäuscht. Das fiel mir ja nicht schwer. Dann war die Szene fertig. Valérie nahm die Kamera vom Auge. Nun waren tatsächlich alle Szenen des Films abgedreht. Ich hatte nichts mehr für den Film zu tun, Valérie standen viele Stunden Schnittarbeit am Computer bevor. Ich war doch froh, daß wir bis jetzt durchgehalten hatten; denn während der Dreharbeiten war es mehr als einmal zu – nun ja, Spannungen zwischen meiner talentierten Co-Autorin, Kamerafrau, Regisseurin und Schnittmeisterin gekommen. Nun, seit wir beide seit einigen Jahren in Berlin leben, verstehen wir uns sehr gut.
- Gleichmäßiges ruhiges Sommerwetter.
26.8.2002
Klaus-Dieter Diedrich (1951-2006): "Die Biberacher Zeit"

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