2.8.2002
Ein neuer Tag und ein neues Heft, in das ich neue Aufzeichnungen vom Verlust der alten Tage eintrage. – Im Sommer von 1976, und auch im nächsten, aber bleiben wir erst einmal noch in dem sechsundsiebziger, ging ich, auch eine der Regelmäßigkeiten meines damaligen Lebens, die sich an denen einer „Normalität“ eher orientierte als andere, an den Samstagen und Sonntagen oft, doch nicht immer, mittags oder erst nachmittags aus dem Kapfengassenhaus hinaus und zur Bushaltestelle am Marktplatz (samstags, wenn noch ein letzter Bus hinauf zum Hühnerfeld fuhr) oder durch das Straßengewirr sofort zum Wohngebiet auf dieser südwestlichen Hochfläche über dem Stadtinneren, um in der Wohnung meiner Mutter, die immer auch noch unsere Wohnung, für die meine polizeiliche Registrierung galt, war, ein Mittagessen oder ein Stückchen Kuchen etwa (selten) zu mir zu nehmen. Oder ich machte mir dort etwas zu essen, wenn meine Mutter nicht gekocht hatte, was vorkam, wenn sie keine Lust dazu gehabt hatte oder ihr nicht wohl war; das war sehr oft der Fall. Ich aß dann also etwas, um gegessen zu haben (nie in meinem Leben habe ich besonderen Wert auf’s Essen gelegt), in meinem Zimmer, das klein und mit Möbeln aus der Lindelestraße vollgeräumt war, am Tisch sitzend, einem der großen Tische, denn der Schreibtisch stand in der „Karga“, und sah während des Mahls mal auf die Zeitungsseite, die vor mir lag, oder auf ein Buch, und las ein paar Zeilen, mal aus dem Nordfenster auf die zu jener Zeit dort noch nicht zugebaute Freifläche und die Straße und ihre Gehwege, auf denen sich an Samstag- und Sonntagnachmittagen wenig rührte. Alles schien von der starken Sonneneinwirkung wie eingedickt zu sein. Nach dem Essen trug ich den Teller und eine eventuelle geleerte kleine Salatschüssel in die Küche und pflanzte mich in einen der Sessel im Wohnzimmer, wo meine Mutter schon, oder noch, oder wieder auf unserer alten Chaiselongue, der weinroten Coach, lag, dösend oder im Halbschlaf oder sie sah die lächerlichen Sendungen, denn ich hatte das Schwarzweiß-Fernsehgerät aus Gewohnheit schon, für die ich mich eigentlich schalt, eingeschaltet, mit an; wir sahen amerikanische Nachmittags- und anschließend, denn ich verfügte ja über Zeit und mußte nicht zu bestimmter Stunde ins Karpfengassen-zimmer zurückkehren, Vorabendserien an, die „Waltons“ und auch „Bonanza“, die Westernserie aus den Sechzigern, die in den Siebzigern ebenfalls ihr Publikum noch oder wieder hatte. Ich trank Bier aus den gedrungenen Flaschen der – nicht in Biberach ansässigen – Brauerei Rapp; 1973 hatte meine Mutter mir zuliebe, denn die paar Sprudelflaschen, die für ihre Verwendung mitgeliefert wurden, waren nicht der Schreibe über sie wert, eine Dauerbestellung getätigt, und einmal pro Woche wurde der leere Bierkasten vor die Haustür gestellt und der volle hereingeholt, und gelegentlich änderte ich die Sorte, trank statt Pils Märzen-Bier oder ein Export. Dies setzte sich auch in der Hühnerfeldwohnung fort, obwohl ich zu jener Zeit längst eher Wein trank als Bier, auch die harten Sachen. In späterer Zeit, nach Auflösung der Wohngemeinschaft im Juli 1978, konsumierte ich höchstens noch spätabends im „Sternchen“ ein Altbier, das ich von meinen kurzen Reisen nach Düsseldorf kannte, wo ich auch gelernt hatte, wie man einen gut eingeschenkten „Samtkragen“, der vortrefflich zum „Alt“ mundet, von einem mißratenen unterscheidet. Zurück zum faulen Fernsehnachmittag: eine Erscheinungsform meiner abgrundtiefen Gleichgültigkeit gegenüber jeder Form von Arbeit, insbesondere der Schreibarbeit, die ich, wie mir sehr klar war, hätte tun sollen, aber ich war von den rudimentären Ergebnissen, denn hin und wieder tippte ich tatsächlich ein paar Zeilen auf der roten IBM, angeödet und keinesfalls überzeugt, und so bestrafte ich mich gleichsam für meine Untätigkeit und mein mangelndes Talent mit solchen Schwarzweiß-Serienfilmen der allerdämlichsten Art und mit der zynisch amüsierten Glotzerei von Hans Moser-Filmen aus der Nachkriegszeit. Diese Heimat- oder Klamaukfilme, in denen auch Theo Lingen seine näselnde Nase zeigte, sah ich mir wirklich nur wegen Hans Moser an; und morgen werde ich einen Heimatfilm von 1956 ansehen, weil Hans Moser in ihm spielt; so existiere ich also in diesen Tagen in einer ähnlichen Geistesstumpfheit wie im Sommer 1976, und deshalb dieser Text, heute.
- Grau, aber ohne viel Regen, kühler als in den Tagen zuvor.
2.8.2002
- Grau, aber ohne viel Regen, kühler als in den Tagen zuvor.
2.8.2002
02.08.