16
Jul

16.7.2002

Als ich elf Jahre alt war, nehme ich an, denn jünger war ich sicherlich nicht und älter auch nicht, machte ich – war es im Sommer oder schon vor ihm in seiner Vorlaufzeit?; auf jeden Fall war es an einem erfreulich sonnig-sommerlichen Tag – in kindlicher Neugierde meine erste sexuelle Erfahrung. Aber ist das „sexuell“ an dieser Stelle das richtige Adjektiv? Ich denke, das ist es, überlasse eine Beurteilung der Handlungsweise aber der und demjenigen, der dieses liest. In der Nachbarschaft am unteren Ende der Lindelestraße wohnte ein um vielleicht zwei oder drei Jahre älterer Junge, der es damals geschafft hatte, wie auch immer, sich mir zu nähern, was ja allein schon aufgrund des Nebeneinanderwohnens nicht sehr schwierig gewesen sein dürfte, und ich stand eines Nachmittages in seinem Zimmer, vielleicht auch nicht zum ersten Mal, und daß ich das nicht genau weiß, zeigt schon, daß sich über diese „Vorgänge“ ein leichter Nebelschleier legte, oder gelegt wurde, der aber große Lücken behielt, und durch sie sehe ich nun, wie wir aus dem Zimmer dieses Jungen, dessen Vornameinitial J. war (seinen Nachnamen verschweige ich), hinaus in den herrlich beschienenen Tag traten und zu einem Tälchen gingen, das sich neben der Mitte der Gartenstraße zu jener Zeit noch befand und in dem ein langer, von Unkraut und Wiesenblumen überwachsener inoffizieller Weg entlang einer kleinen unbebauten Fläche (heute steht seit Jahren ein Haus darauf) hinunter eine steile Abkürzung zur Gaisentalstrße bot. J. war mir nicht unbedingt sympathisch, ich bemerkte, sofern man als Elfjähriger das wahrnehmen und beurteilen kann, etwas Unangenehm-Unaufrichtiges an ihm, auch eine verhohlene Art, die ich erst in einem Jahr danach als eine Form von Lüsternheit einzuschätzen in der Lage war, aber ich war nicht abgeneigt, mit ihm ein wenig „herumzuspielen“. Wir suchten also einen Ort in dieser eingekerbten Schneise, wo wir uns unbeobachtet glauben durften, streiften durch Unkraut und Blüten bis zu der Stelle, wo der verborgene Weg nun steil nach unten abfiel. Dort zogen wir unsere kurzen Hosen – wir hatten wohl beide, womöglich wegen einer Vereinbarung am Tag zuvor, keine Unterhosen an – von den Hintern und begannen, sie mit den Fingern und Zweiglein genau zu examinieren, steckten uns Finger ins kindliche Rektum und die Zweiglein hinein. Der Ältere hatte einen steifen Schwanz, meiner baumelte noch unaufgerichtet herunter, doch ein prickelndes Gefühl, das ganz eigenartig war, durchströmte mich. Ich wichste den Schwanz des Älteren nicht, unsere erregte Aufmerksamkeit galt wechselseitig unseren kleinen Ärschen. So befummelten wir uns, was mir ein interessantes Abenteuer war, eine ganze Weile lang. Plötzlich drang von oben eine laute Frauenstimme auf unseren schattigen Spielplatz herab: „Was tut ihr denn da?! Was tut ihr denn?!“ Ich hob meine Blicke von der Rosette, in die ich soeben ein Zweiglein hineinbewegt hatte, zu dieser Stimme. Eine Frau lehnte sich weit aus dem Fenster und sah erbost-erschrocken herunter. Dumm, daß wir nicht darauf geachtet hatten, über uns einen Baum- oder Buschwipfel zu haben; der Schatten fiel von einer anderen Seite. J. zupfte das Hölzchen aus seinem Hintern und wir zogen hastig die Hosen hoch. Zu spät! Der Halbskandal war nicht mehr zu vermeiden. Ich war mir keiner Schuld bewußt, ich war nicht „verführt“ worden, wie meine Mutter den Eltern J.s aufgelöst vorwarf (wie ich annehmen konnte), aus eigenem Interesse war ich dabei gewesen. J. wurde bei Androhung härterer Maßnahmen bedeutet, die Finger von mir zu lassen; mir wurde eindringlich nahe gelegt, daß das eine ganz schlimme Tat gewesen sei, und ich solle mich schämen ich und weiß nicht mehr, was sonst noch. Das Wort „Internat“ fiel plötzlich. Meine Mutter überlegte wohl einige Zeit ernsthaft, ob sie mich in eine strenge Ausbildungsstätte geben sollte; das Wort kreiste an manchen Tagen durch meine Gedanken und gefiel mir gar nicht. Und war mir nicht auch – konnte ich das wissen, und woher? – bekannt, daß es in Internaten „diesbezüglich“ noch viel schlimmer zugehe? Oder dachte ich das in späterer Zeit, phantaierte ich mir das hinzu, als gelegentlich, nicht oft, die Erinnerung an diesen Vorfall herankam; denn dieser erste Sex – den ich wahrscheinlich vergessen hätte, wäre danach nicht diese Aufregung gewesen – blieb mir im Gedächtnis. Um die Liebe und Fürsorge meiner Mutter nicht zu verlieren, verzichtete ich danach auf ähnliche Unternehmungen. Ich konnte in meinen Erwachsenenjahren den Gedanken, daß damals ein Sexualverbot, das ich auf fatale Weise verinnerlicht hatte, über mich verhängt worden war, nie ganz verdrängen. Während meiner Pubertät und lange danach noch hatte ich nur Sex mit mir selber. Erst mit Mitte Zwanzig ließ ich mich auf den ersten (schwulen) Partnersex ein. Er war nicht so erhebend. Ich wurde damals, so mein Verdacht, in meiner sexuellen Entwicklung gestört. Die Warnung vor den bösen Buben in Verbindung mit mütterlichem Liebesentzug wirkte nach.
- Wechselhaft, bedeckt, mit sonnigen Passagen durch die Wolkengebiete.
16.7.2002
Klaus-Dieter Diedrich (1951-2006): "Die Biberacher Zeit"

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