15
Jul

15.7.2002

H. war im Sommer 1975 mein Lieblingsmitflipperer, und ich hatte Absichten; aus denen, im Gesetz der Serie bleibend, nichts wurde. Er war sehr hübsch, blond, die Haare schwangen in den freien Nacken, der schmal aus der Öffnung des T-Shirts hervorkam, schlank, noch nicht ganz so groß wie ich, mit gepflegten kurzen Fingernägeln auf den Fingerspitzen (ich achte auf so etwas), ein wohlgeformter Hintern füllte die engen Jeans aus. Er konnte großspurig sein, wie ich an ihm bemerkte, wenn er mit anderen vor der Spielhalle redete; ein bißchen angeberhaft; ausnahmsweise störte mich das bei ihm gar nicht. Ihm durfte ich das zugestehen. Hübsche Lippen. Ich stand auf ihn. Er war ungemein sexy. Im Juli und August flipperten wir häufig miteinander, und das ist – leider – keine Umschreibung für eine andere Tätigkeit. Wohin hätte ich ihn abschleppen sollen? Bei mir zuhause Sex zu haben – unmöglich. Wenn ich an Sommerabenden den Weg, der vom „Biberkeller“ hinauf zur Gartenstraße führt, zurück zur Lindelestraße nahm und er zufällig auf seinem knatternden Mofa, das ich schon an seinem Motorengeräusch erkannte, vom Bismarckring nach der Kurve die Birkenharder Straße hinaufzockelte und mich, den Anhöhenweg erklimmend, sah, grüßte er mit vertrauter Geste einer Hand, ich winkte zurück. Ich war überzeugt davon, daß er sich auf eine erotische Erfahrung einlassen würde, wenn ich den ersten Schritt täte. Den tat ich nicht. Ich wußte, daß er aus vermögender Familie stammte, ich befürchtete Komplikationen. Einmal, in einem sonnengetränkten Abend im späten August, ging ich von der Karpfengasse mit Herbert auf ein Glas Wein zum „Rebstock“, wir traten ein in die noch schwach besuchte Gaststätte, da saß er mit seinem Vater am langen Tisch; mit seinem Vater hatte ich mich einmal über ein belangloses Thema unterhalten. Ich grüßte, der Gruß sollte dem Vater gelten, sollte der Vater denken. Eine schwirrende Verwirrung erfaßte mich, als Herbert und ich uns an einen Tisch an der Außenwand zur Consulentengasse setzten. Ich wählte mit Bedacht einen Stuhl, von dem aus ich – eben nicht zu H. sehen konnte, sondern die tabakrauchgebeizte Tapete vor mir hatte, oder eines der Fenster, wenn der Blick in der Unterhaltung mit Herbert ab und zu abschweifte. Ich saß wie auf Kohlen. Das Bedürfnis, mich umdrehen zu wollen, immer wieder zurückzudrängen – denn was würde dieser Papa davon halten, wenn ich seinen fünfzehn- oder sechzehnjährigen Sprößling begaffte? – beeinträchtigte mein Geplauder mit Herbert; ich glaube, er erkannte meine Situation nicht. Oder tat er so, als spürte er nicht, unter welcher Spannung ich da hockte? Vater und Sohn gingen. Ich hörte sie hinter mir den stillen Raum verlassen. Ich war frustriert; aber wann war ich das nicht.
- Vormittags regentrüb, nachmittags Sonne.
15.7.2002
Klaus-Dieter Diedrich (1951-2006): "Die Biberacher Zeit"

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