12
Jul

12.7.2002

Wie gern erinnere ich mich jener späten Abende im Frühjahr und Sommer 1975, in denen ich in Herberts Zimmer in der Karpfengasse 24 saß, im hinteren Teil (in dem drei Jahre später mein altes, von Guglielmo S. stammendes Messingbett stehen sollte), ein Glas Rot- oder Weißwein in der Hand, und versonnen den Pianosequenzen, die Herbert durch den spärlich beleuchteten Raum schweben ließ, lauschte, und Bernd H. spielte Improvisationen dazu auf seiner im Schein einer Kerze, deren gelbe Blüte auf dem schwarzen Piano ihren friedlichen Schimmer aussandte, ab und zu matt blinkenden silberfarbenen Querflöte. Herbert, inspiriert von der Musik Keith Jarretts, die er in bedingungsloser Weise verehrte, näherte sich dann oft dem Stil des Meisters so, daß nicht nur ich, sondern andere auch, die, aber sporadisch nur, ebenfalls den nächtlichen Genuß dieses freien Spiels erfuhren, erstaunt insgeheim fragten, ob das, was wir hörten, nicht doch „Jarrett“ war, so kongenial fühlte unser schwarzlanghaariger Freund sich in die Atmosphären des Amerikaners ein. Schöne Tage, schöne Abende, die zu den eindringlichsten und entspanntesten meiner siebziger Jahre gehörten. Wir waren ja eine sehr musikalische Clique, fast jeder meiner Freunde, die von 1973 bis 1978 zu denen der politischen Gruppenbildung hinzukamen, beherrschte ein Instrument, sei es das Klavier, die Querflöte, das Schlagzeug oder die E- und Akustikgitarre, den Elektrobaß, und die Gesangsstimme, die ein Instrument zu nennen so ganz falsch nicht sein dürfte. Herbert und Bernd faßten ihr Klavier- und Flötenspiel aber nie als etwas anderes als ein erfreuliches Hobby für dann und wann auf, wie auch Bernie Herskovits, ein ebenfalls sehr begabter junger Pianist, der bei Emma K., einer weltbekannten Pianistin aus Prag, Unterricht nahm, aber eher Jazz spielte und sich von McCoy Tyner beeinflußt erklärte (und in späteren Jahren einige Zeit in Rio und Sao Paulo als Barpianist arbeitete). Fast alle diese jungen Männer befanden sich eher noch in ihrer Lern- und Lehrzeit; einer von ihnen, soviel ich noch von ihnen weiß, Markus M., ist heute leader of the gang, Haupt einer professionellen Latin-Funk-Jazzband, die als „Latin Love Affair“ CDs produziert und mit der Sängerin jener Cuba-Band, die mit Wim Wenders‘ Film „Buena Vista Social Club“ berühmt wurde, zusammen arbeitet. Alle, die ich aus der lokalen Musikszene kannte, die in Biberach und Umgebung Konzerte gaben, ergriffen dann „solide“ Berufe; Caesu, der Musikalienhändler des „Sound Circus“, in der Engelgasse, gegenüber dem stattlichen Haus aus spätmittelalterlicher Zeit, in dem Klaus Leupolz aufwuchs und, nach seinen Reisen in den fünfziger und sechziger Jahren zurückgekommen, und auch danach, bis in die Achtziger, wohnte, gelegen, spielt, wenn die Geschäfte des „Ladens“ es erlauben oder erfordern, wohl manchmal in diesen Jahren noch seinen Baß; oder er mixt den Sound, wie – ich entnahm die Information der weberberg.de-Website – kürzlich beim traditionell gewordenen „Tanz auf dem Marktplatz“ am „Schützensonntag“-Abend. – Wenn diese Freunde spielten, solo oder in Compagnie, Jazz, unsere Hausmusik der Siebziger, zeigte mir mein Freundeskreis auf die stimmungsvollste Art und Weise, daß ich Gründe für die Empfindung hatte, mich in Biberach – vielleicht weil ich schon in Stuttgart ein Studium aufgenommen hatte – gar nicht so sehr am falschen Ort zu befinden.
- Heiß, oder eher sehr warm, eine kleine Schwüle in der Luft, Verschattungen, die das Scheinen milderten.
12.7.2002
Klaus-Dieter Diedrich (1951-2006): "Die Biberacher Zeit"

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