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Jul

2.7.2002

An den „Schützenmontagen“ und „Schützendienstagen“ stand ich in den Jahren, in denen ich bei den „Schützentrommlern“ (mit Pfeifern) die Trommel schlug, früh auf. Vor den Umzügen – „Bunter Schülerumzug“ montags in der „Schützenwoche“, Großer Historischer Festzug am Dienstag – waren vor den Häusern und Vorgärten verschiedener Biberacher Bürger mit Verdiensten allerlei Art und vor denen einiger anderer Honoratioren Ständchen zu trommeln und zu pfeifen. Ich zog die kurze blaue Hose an, weiße Kniestrümpfe, braune Halbschuhe, ein weißes Hemd, über das ein blaues Jöppchen, auf den Kopf mit dem Faconschnitt früher sechziger Jahre setzte ich mir die blaue Schirmmütze. An deren rechter Seite wurde, an allen Tagen, in denen wir früh am Tag, vormittags, abends, durch die Straßen marschierten, ein schmales Büschel eines gewissen Halmgrases – schreibe ich, weil ich seinen wissenschaftlichen Namen nie kannte – genäht, von dem wir nur als „Judenbendel“ sprachen. Ich dachte mir nichts dabei. Ich wußte noch nichts von Juden; oder doch: ein Volk, Menschen eben, wie du und ich. Ich wußte noch nichts von den rituell getragenen Schläfenlocken der orthodoxen Juden; auch noch nicht viel von der deutschen Geschichte. Wir ließen von den Müttern die Judenbendel an der Mütze befestigen, dann zogen wir, aus Häusern, die überall in der Stadt im schon sonnigen Morgenlicht standen, durch unsere Straßen zum Ort in der Stadt, an dem wir uns sammelten, von dort abmarschierten, „Erster Marsch!“ oder „Dritter Marsch!“ trommelnd, dann setzten die Pfeifer mit ihren kleinen Querflöten ein; und manchmal trotteten wir auch eine Zeitlang ohne zu trommeln und zu pfeifen durch die morgendliche Stille: eine blaugelbe Knabenmannschaft; über dem linken Oberschenkel, wo die Metallrahmen der Trommeln auflagen, trugen wir ein gelbes dünngegerbtes Fell; die Biberacher Stadtfarben sind blau-gelb. Dann gab Herr K. wieder einen Befehl, wir waren vor dem nächsten zu bespielenden Haus angelangt, wir formierten uns wieder ordentlich in Reih und Glied; der Tambour wandte uns den Rücken zu, vor dem Haus, vor dem Gärtchen vor dem Haus, hob seinen Stab, zeigte mit der anderen Hand, der linken (es soll auch Tambourmajore gegeben haben, die den Stab mit links schwangen), die Nummer des zu schlagenden Marsches an; die „Locke“ erschallte durch die schläfrig sommerliche Straße zwischen Häusern und Hecken. „Schützen“ war’s! In der Regel gab es danach für die Truppe ein Geldgeschenk, das abends, nach dem „Abtrommeln“, verteilt wurde. Diese paar Mark – immerhin! – verdienten wir uns am frühen Vormittag durch Ständchen. Das Bedürfnis verdienstvoller Bürger, zu „Schützen“ angemessen gewürdigt zu werden, traf sich mit unserem, die Geldstücke auf dem „Berg“ ausgeben zu können. Zur rechten Zeit vor den Umzügen hörten wir damit auf. Erholungspause, oft mit Limonade oder Brause. Von Stunde zu Stunde – in meinen Trommlerjahren schien immer die Sonne heiß nieder – erwärmte sich der oberschwäbische Tag, Autos und Fußgänger strömten aus allen Richtungen in die Innenstadt; wir warteten in den Straßen der Peripherie der inneren Stadttopographie auf den Abmarsch, im „Bereitstellungsraum“, zusammen mit anderen Gruppen, musikspielenden, darstellenden, mit den Schweden und den Kaiserlichen; vor ihren Planwagen standen am „Schützendienstag“ und an „Bauernschützen“, dem die Schützenwoche abschließenden Sonntag, als Vierergespänne schwere Gäule, die schon jetzt auf den Asphalt schissen. Dumpfe Böllerschüsse aus einer groß dimensionierten Spielzeugkanone vom Gigelberg herunter zeigten den Beginn der Umzüge an. Ruckelnd, zuckelnd setzten sie sich dann in Bewegung. Wir Schützentrommler und -pfeifer vorneweg. Wir waren die ersten, die von den sommerlich-feiertäglich gekleideten Massen auf den Bürgersteigen Applaus erhielten. Wir waren ziemlich stolz.
- Trüb-regnerisch, aber auf ungute Weise wärmer, als man hätte denken können. Ein starker Regenguß am Nachmittag versiegte, abends schlichen sogar ein paar Sonnenstrahlen durch die Bäume.
2.7.2002
Klaus-Dieter Diedrich (1951-2006): "Die Biberacher Zeit"

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Als Biberacher, der K.D. kannte und als bekennender...
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