24
Mai

24.5.2002

Wie man sich vielleicht erinnert, hatte Horst P. im Sommer 1971 mit dem Referat über die DKP in der Wohnung am Alten Postplatz die Absicht, nach dem vorauszusehenden Niedergang des Republikanischen Clubs einen weiteren Versuch, linke „Positionen“ in Biberach zu etablieren, in wesentlicher Weise befördert. In den Jahren danach besuchte ich Horst und Sylvia P. einige Male in Düsseldorf; meistens, wenn die „Science Fiction Times“ ihre Redaktionskonferenzen in Düsseldorf, Wuppertal, Hamm abhielt. Ich erweiterte meine Aufenthalte, zu denen ich mit dem Zug fuhr, um zwei oder drei Tage als Gast der beiden in ihrer Zwei-Zimmer-Dachwohnung in Düsseldorf-Bilk. Sie standen noch in ihren Hauptberufen; Horst P., mittel-große, ein wenig korpulent wirkend, energisch, zwei Jahre älter als ich, mit einem nicht sehr auffälligen Seehundsbärtchen über den vollen Lippen im eher runden Gesicht, hatte sehr dezidierte Ansichten über linke Politik im allgemeinen und über Literatur im besonderen und litt noch in einem Büro eines Versicherungsunternehmens, hatte aber seit einigen Jahren schon professionelle Übersetzungen von angloamerikanischen Science Fiction-Romanen und -stories für verschiedene Verlage, die in diesem Genre Geschäfte machten, geliefert und selbst Stories geschrieben, mit dem erklärten Ziel, das zu seinem Beruf zu machen, von dem zu leben wäre; Sylvia P., eine füllige Dunkelblonde, Romanistin aus dem Badischen, unterrichtete Französisch und ein zusätzliches Fach an einem Gymnasium in Duisburg, und deshalb sah ich die ATH, die wohl die „A. Thyssen Hütte“ sein sollte?, in meinen Worten auf der Karte an Schmidt (wofür steht, stand, das „A“ ?), aber aus der Ferne nur und doch sehr nah wirkend, in der schmutzigen Monumentalität ihrer Industriebauten, die über die Häuser von Duisburg-Harburg drohten. Ich schmeckte, als wir dem Auto entstiegen und ein paar Minuten durch die Straße gegangen waren, bald den mir ungewöhnlichen Staub- und Rußgeschmack im Mund; in Biberach war die Luft wahrlich besser. Waren nur S. und ich nach Duisburg gefahren, oder war H. dabei, mit dem ich, während seine Frau den Schuldienst beginnen mußte, dann in eine Kneipe hockte und Altbier trank? Einmal auf jeden Fall saßen er und ich in solch einer Kneipe an einer Industrielandschaftsstraße und warteten auf sie. Vielleicht im Jahr davor? Als ich die gescannte Karte angesehen habe, habe ich mich gewundert, daß ich Ende März 1974 in Düsseldorf gewesen sein soll. Also am Ende eines Winters, jenes, in dem der Club Impuls meine Zeit (auch) in Anspruch nahm, war ich unterwegs ...? Am 27. März war ich in Düsseldorf, zwei Tage später saß ich in Biberach in der ersten Vorstellung unserer Club Impuls-Filme im „Urania“-Kino. Hätte Schmidt nicht diese Postkarte gefunden, ich würde mich nie daran erinnert haben. Nun, da ich sie „wieder gefunden“ habe, weiß ich, daß ich in einer der Messehallen ein Stück von einer sowjetischen Rakete, Raumschiffrakete, sah, aber nur das weiß ich mit Bestimmtheit, und für die Äußerung, dieses Stück Raumschiff sei eine gebrauchte Sojus-Kapsel gewesen, würde ich im Augenblick nicht die Hand ins Feuer legen, das solche Raketen beim Start produzieren. Und womöglich war dieses Stück sowjetsozialistischer Raumfahrttechnologie nicht das einzige weltraumspezifische Exponat dort, und die Präsentation einer Reihe von diesen Dingen hatte uns, die wir ja häufig mit Science Fiction und Wissenschaftlicher Phantastik (wie die Literaturgattung im östlich-offiziellen Literaturjargon hieß) und kosmischen Ereignissen zu tun hatten, erst zum Besuch dieser Ausstellung veranlaßt? Und wer war der „große Meister“? Herbert Mies, der DKP-Vorsitzende, der sozusagen zwangsläufig einmal durch die Ausstellung zu gehen hatte? Möglich, daß die ironische Bezeichnung ihm galt. Möglich aber auch, daß es während jenes Märzbesuchs bei den P. – aus nur freundschaftlichem Grund oder wegen einer SFT-Konferenz, die wieder einmal in Düsseldorf oder Wuppertal stattfand? – war, als ich, obwohl Düsseldorf die Stadt Heines ist, das Goethe-Museum besuchte, und G. gemeint war. Doch nun bin ich mir fast sicher, daß dieser Museumsbesuch zu einem anderen Zeitpunkt stattfand. Hier häufen sich die Fragen und die Antworten, die ein verunklartes Erinnerungsvermögen geben kann, lassen zu wünschen übrig. Daß meine Erinnerungen klarer würden. Denn viele Altbiere mit „Samtkragen“, der Düsseldorfer Schnapspezialität, sind vermutlich auch die Ursache, nicht nur die viele vergangene Zeit, dafür, daß sich diese Begebenheiten nicht deutlicher in die Neuronen einschrieben und fortgeschwemmt wurden; nur Strandgut blieb auf den Sandbänken jener Jahre zurück, auf denen die Fußspuren meiner Irrungen und Wirrungen allmählich verweht werden.
- Mit Regenwolken begann der Tag, die auch bis zum Nachmittag blieben. Dann drang das wärmende Sonnenlicht wieder durch die abschirmenden Schichten; aber der Abend war etwas kühl; angenehm.
24.5.2002
Klaus-Dieter Diedrich (1951-2006): "Die Biberacher Zeit"

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