23
Mai

23.5.2002

Am 26.3.1974 war ich in Düsseldorf bei den P.; ich lese das Datum auf der Postkarte, die am 27.3.74 abgestempelt wurde und die Schmidt mir kürzlich als gescannte und ausgedruckte Version mitgebracht hat; ein Zufall hat sie ihm vor drei Wochen in die Hände gegeben. Ich schrieb: „26.3.74 Werter Genosse, dank der Großzügigkeit meiner Gastgeber trinke + schlemme ich mich durch die D’dorfer Altstadt- + sonstigen Kneipen. Heute habe ich die ATH in Duisburg in Augenschein genommen, ebenso die sowj. Handels-+ Industrieausstellung in D’dorf; dortselbst auch den ‚großen Meister‘ getroffen. Am Donnerstag nach Holland, Freitag Abend Biberach. Alsdann! KD“. Auf der Vorderseite der Karte ist die Neue Messe Düsseldorf, ein Teil des Geländes, mit den (damals) futuristisch wirkenden langen, von halbkreisförmigen Glasdächern überwölbten Stegen auf Betonstelzen, die über die große, leer aussehende Fläche verlaufen, zu sehen, dahinter ein Hochhaus, eine der flachen Kisten der späten Sechziger, frühen Siebziger, und links steht eine hohe Lampe mit drei Metallschirmen, die mich an antike Helme erinnern (und die ich damals bestimmt nicht wahrnahm), im Vordergrund der Ansicht ragt eine „moderne“ Skulptur in den blauen Himmel, die sich aus einem Glaswürfel und an ihm befestigten rechteckigen Quadern, die aber die vordere, die obere und die linke Würfelseite frei lassen, zusammensetzt, wobei der ganze Würfel auf einem Betonpfahl ruht, der in eine der Würfelecken sticht. Auf die Vorderseite – wenn ich die Seite, auf der ich schrieb, als die wichtigere und also Vorderseite bezeichnen kann – ist die Grußnachricht an Schmidt formuliert, die ich nicht in die Breite, sondern in die Höhe der Karte setzte, sodaß der Aufdruck „Neue Messe ‚Düsseldorf‘“ links unten neben meinen Zeilen auf dem Kopf steht Die Karte adressierte ich an „Herrn Manfred Schmidt 795 Biberach/Riß Consulentengasse ‚Strauß‘“. Über der Anschrift, links neben der rötlichen 80-Pfennig-Briefmarke mit dem Konterfei von Heinemann, wenn ich den Kopf richtig identifiziere, dem Bundespräsidenten der Brandt/Scheel-Regierungskoalitionszeit, dem, der gesagte hatte: „Reißt die braunen Seiten raus!“, der das zu bundesrepublikanischen Schülern gesagt hatte, was man sich heute auch nicht mehr vorstellen kann, knallte die Postabstempelungsvorrichtung (denn ich nehme an, daß die Abstempelung – zur Hälfte bedeckt der runde Stempelaufdruck mit der Schrift „Düsseldorf“ und dem Datum „27.3.74“ als Querschnittsbalken die Briefmarke – maschinell vonstatten ging) die Information „5. Westdeutsche Kunstmesse Düsseldorf 22. Bis 31. März ’74.“ Als Block, mit anderen Schrifttypen und -größen als hier. Nach 28 Jahren sehe ich nun vor mir, was ich damals schrieb und in den Händen hielt und in einen Briefkasten in Düsseldorf warf; aber auch nicht mehr das Original, sondern nur eine Kopie, so wie auch unsere Erinnerungen nie das sind, was wir einstmals im „originalen“ Blick vor uns sahen und in uns aufnahmen.
- Hochsommerlich heiß-schwül am Mittag. Am späten Nachmittag kündigte die Wolkenbildung im Süden und Westen das Gewitter an, das nach 18 Uhr für eineinhalb Stunden vor sich hin grummelte. Zunächst fiel der Regen, als zögerte jemand, die Gießkanne nach vorne zu kippen, danach schüttete dieser alles kräftig aus, länger als drei Stunden.
23.5.2002
Klaus-Dieter Diedrich (1951-2006): "Die Biberacher Zeit"

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Als Biberacher, der K.D. kannte und als bekennender...
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