15.5.2002
Während der Zivildienstzeit hatte ich wenig Neigung gehabt, mir die Frage definitiv zu beantworten, wie es danach in meinem Leben weitergehen sollte. Ich wollte Politikwissenschaften studieren, kümmerte mich aber nun im Frühjahr 1973 nicht um einen Studienplatz. Dann war die Bewerbungsfrist abgelaufen, ohne daß mir das größeren Kummer gemacht hätte. Ich fühlte mich in Biberach insgeheim gar nicht unwohl, obwohl ich schon damit begonnen hatte, über das Städtchen zu lästern. Ich wollte mir noch etwas Zeit schenken, bevor ich wieder eine Schulbank drücken würde, und eigentlich behagte mir diese Vorstellung überhaupt nicht. Ich hatte vor, ein freies Leben zu führen, in dem mir möglichst niemand etwas zu sagen haben würde. Und noch das freieste Studium wies – weist, denn heute ist es noch verschulter – hierarchische Strukturen auf. Sowieso hatte ich für eine Zeit, die es nach dem Studium geben sollte, wie man hörte, in der das unangenehme Wort „Beruf“ herrschen könnte, gar keine Projektionen entwickelt, sie sollte nur auf irgendeine Weise auch mit schreiben ausgefüllt sein; nur mit Schreiben, wenn ich ehrlich zu mir war, denn die Idee, ein Schriftsteller sein zu können, hatte sich hartnäckig gehalten, auch wenn ich sie mir nicht so oft ausdrücklich aufrief. Das war eher eine selbstverständliche Grundtendenz geworden. Vor allem dachte ich nicht ans Geldverdienen. Geld zu verdienen, Geld zu haben, war ja eh unmoralisch. Wer Geld hatte, war ein Ausbeuter, zumindest einer von denen, die an der Ausbeutung auf eine Wiese mitmachten, für die sie mehr Geld bekamen, von Oberausbeutern, als ein Leben der unübertriebenen Maßstäbe benötigte. So ähnlich. Da wir, meine Mutter und ich, immer nur wenig Geld hatten, im Vergleich zu dem, was bei anderen üblich (geworden) war, trieb diese zwangsläufige Bescheidenheit mich auch gar nicht zu der Absicht hin, eines Tages, als Kompensation für entbehrte Verwirklichungen von Wünschen oder Freuden, deren Erfüllung mit mehr Geld möglich gewesen wäre, viel Geld zu verdienen. Bei anderen war das ja oftmals so; oder sie werden, weil die alleinerziehende Mutter ihr Geld auf mehrere Kinder verteilen muß, aus Trotz über die „kleinen Verhältnisse“ SPD-Bundeskanzler. Solche Ambitionen hatte ich nicht. Ich trachtete nie danach, irdische Güter anzuhäufen. Selbst wenn ich Geld gehabt hätte, Geld, das der Aussage „Geld zu haben“ jenen mitklingenden Ton verleiht, der andeutet, man habe Geld in einem gewissen gut situierten Umfang, hätte ich mich nie zugunsten neuer Möbel z.B. von meinen alten, alt vertrauten, getrennt (und eine Trennung im wirklich emotionalen Sinn wäre das gewesen, bei all den Geschichten, die mir diese Möbel sofort zu erzählen beginnen, wenn ich einen Blick auf sie werfe), nur um irgendeinem „modernen Schöner Wohnen“ zu Gefallen zu sein, oder von Besuchern, die bei mir immer weniger geworden sind, je älter ich bis jetzt geworden bin, für einen Mann auf der Dreiviertelhöhe des sogenannten Lifestyles gehalten zu werden. Ich trachtete höchstens danach, Ruhm aufzuhäufen, na ja, aber hatten wir das nicht schon? Auch das war, wie sich herausstellte, ein „klassischer Fall von Denkste“, wie es in den „Fix und Foxi“-Comics (aus dem Verlag Rolf Kauka) meiner Kinderjahre den Figuren in die Sprechblasen gelegt wurde; und in die der Micky Maus-Hefte auch, oder nicht? Wo bin ich stehen geblieben? Für’s Studieren hatte ich also im Jahr 1973 kein Interesse. Es gab in Biberach auch etwas zu tun. Über den Sommer bereitete die SDAJ- und die mittlerweile auf vier Genossen angewachsene DKP-Gruppe in „Aktionseinheit“ mit den Jusos und einer katholischen Jugendgruppe einen Aktionstag im September zur Anprangerung des Brandtschen Radikalenerlasses vor. Eine umfangreiche Dokumentationspublikation sollte erscheinen und mußte zusammengestellt und auch mit eigenen Texten versehen werden. Zweimal hockte ich zu diesem Zweck auch bei C.H., der Juso-Vorsitzenden ihrer Biberacher Gruppe, im Haus ihres Vaters, der einen Handwerkerverband repräsentierte, um mit dieser Arbeit voranzukommen. Sie war sehr selbst bewußt und ein bißchen schräg-modisch, aber auf eine altmodisch anmutende Art (seltsames Erscheinungsbild) gekleidet und reichlich intelligent. (Heute ist sie, wie ich vor einigen Jahren durch eine Notiz im Biberacher Lokalteil der „Schwäbischen Zeitung“, die auf ihren Lyrikband hinwies, erfuhr, Kulturdezernentin einer Stadt am Niederrhein, nach ihrem Studium der Politikwissenschaft etc.). – Über den Sommer las ich die beiden Bände des Romans von Heinrich Mann, in dem der Lebensweg König Heinrich des Vierten von Frankreich, dem aus Navarra, erzählt wird; und andere Romane, Erzählungen, Gedichte, Texte, Literaturzeitschriften, Feuilletons usw.; hielt mich im „Strauß“ auf, abends, nach dem Dienst und abends dann nach den Dienstmonaten.
- Vormittags sonnig, nachmittags wechselten sich helle mit düsteren Phasen ab. Gegen Abend hin trüber und kühler, durch die sehr lange Dämmerung schwebten hellgraue Wolkenschichten.
15.5.2002
- Vormittags sonnig, nachmittags wechselten sich helle mit düsteren Phasen ab. Gegen Abend hin trüber und kühler, durch die sehr lange Dämmerung schwebten hellgraue Wolkenschichten.
15.5.2002
15.05.