7.5.2002
Die Summe, die ich zwischen 1971 und 1978 im „Strauß“ liegen ließ, muß beträchtlich gewesen sein. Erstens trank ich viel, erst Bier, schließlich eher Wein, zweitens waren Bier und Wein und Tee mit Rum ziemlich billig, viel billiger als heute, selbst im Vergleich zu den Lebenshaltungskosten. (Der Viertelliter Rotwein kostete im „Strauß“ um die DM 2,30, und das war kein schlechter Stoff.) Das, was ich für die Zivildienstarbeit 1973 erhielt, und das war verdammt wenig, und jener Lohn, den ich als Werkstudent von April bis Juli 1974 bei der großen Biberacher Niederlassung des Stromlieferanten Energieversorgung Schwaben (später einer der größten Atomstromhersteller), verdiente, verschwand zum großen Teil, wenn nicht zum größten, in der breiten schwarzen Bedienerinnenbörse, wenn Barbara, und das war ja fast jeden Abend so, zum Schluß der Zecherei, in der drei oder vier halbe Liter Bier oder zwei bis drei Viertele Rotwein hinuntergeschluckt worden waren, abkassierte. Manchmal aß ich auch im „Strauß“, Jägerschnitzel mit Croquetten und künstlich aussehendem Gemüse dazu war für eine gewisse Zeit ein bevorzugtes Menü; und hatte ich am Vorabend mit der Trinkerei den Magen zu sehr strapaziert, denn zuhause öffnete ich nachts gerne noch ein Fläschchen Gerstensaft oder ich nahm noch etwas Wein zur Brust, dann bestellte ich eine Hühnerbrühe mit Ei, die ich vorsichtig schlürfte, dazu kam erst einmal nur ein Achtele Rotwein – Weißwein trank ich seltener – in Betracht; das änderte sich im Verlauf des Abends. Allein saß ich da doch selten, man hockte mit den anderen zusammen, quatschte über Politik und Kino, über Literatur weniger ausführlich, was ich auch nicht vermißte, denn Literatur hatte ich ständig im Kopf, soff, qualmte Zigaretten (`73 und `74 noch keine selbst gedrehten), wurde lebhafter und schließlich bezecht, ich; und das wollte ich so. Je länger der Abend wurde, umso besser wurde mir. Freilich trug ich mehr als nur einmal üble Räusche hinauf zur Lindelestraße; durch frische Frühlings-, laue Sommer-, kalte Novembernächte, in denen der Nebel so dicht wie in meinem Schädel hing, über die verschneiten Gehwege der Wielandstraße, des Bismarckrings, über die im Wäldchen entlang der Gaisentalstraße, im Überqueren der Gartenstraße, wenn die Fenster des Hauses, auf das ich unsicheren Schrittes zutaperte, schon nicht mehr erhellt waren. Vor Mitternacht kam ich damals fast niemals nach Hause. Manchmal nahm ich den anderen Weg aus der Stadt, erklomm den steilen Asphaltpfad, auf dem man vom „Biberkeller“ – wo diese Wirtschaft im Sommer ihre Tische und Bänke aufstellt, habe ich vor einiger Zeit beschrieben – ansteigt und hinauf zum östlichen Ende der Gartenstraße gelangt, nach links abbiegt und in westlicher Richtung geht, vorbei an den Gärten meiner Kinderzeit und -spiele. Auch in umgekehrter Richtung führte ich meine Schritte gern, sommers wie winters. Noch in den ersten Sechzigerjahrewintern standen rechts oberhalb des „Biberkellers“ hohe Balkenkonstruktionen, die, wie ich einmal beobachten konnte, aus einem Gartenschlauch mit Wasser bespritzt wurden; sofort bildeten sich lange Zacken und pittoreske Fahnen, die erstarrt von den Gerüsten hingen, als ich am Tag danach vorüber kam; mächtige Eiszapfen, zwei Meter lang, formten einen bizarren Vorhang, oder ein gigantisches Mordinstrument für einen Winterriesen, der in einer der am Gigelberg und in den südlichen Abhängen des Lindelehügels oft so versteckt, daß man sie nicht bemerkt, liegenden Höhlen noch schlief und irgendwann hervorkommen konnte. Diese Eiszapfen und Eisstangen wurden abgeschlagen und auf dem Anhänger eines Traktors fortgeschafft. Aus einer einzigen dieser Eisstangen hätte ich genug klirrende Würfel für alle Scotch- und Bourbon-Drinks meines Lebens, und das waren etliche, schlagen können. (Hätte sie ausgereicht?) Als ich sie damals sah, die Eisbalken, ahnte ich freilich noch nichts von meiner Affinität zu diesen äthylalkoholischen Drinks.
- Kühler und grauer Maitag.
7.5.2002
- Kühler und grauer Maitag.
7.5.2002
07.05.