5
Mai

5.5.2002

strauss
Warum habe ich gestern geschrieben, ich hätte kein Foto vom „Strauß“? Wenn ich doch genau hätte wissen müssen, daß ich doch eines zur Verfügung habe? Dieses Foto, das ich hier abbilde, nachdem ich es mit einem gängigen Com­pu­­er­bild­be­ar­bei­tungs­pro­gramm links und rechts etwas be­schnit­ten ha­be, befindet sich doch schon seit län­ge­rem im Spei­cher meines 300-Mhz-AMD-Rech­ners. Manfred S. nahm diese An­sicht vom „Strauß“ in einem der Jah­re der Acht­ziger – aber ich werde ihn fragen, ob er sich erinnern kann, wann er dieses Fo­to machte – auf. Woher mein Mangel an Aufmerksamkeit, weshalb diese Verdrängungsversuche? Ich habe gestern nicht an dieses Foto gedacht (und es ist auch das einzige, das M vom „Strauß“ hat, das kann ich nun sagen, eine sehr alte Aufnahme, eine Postkarte, auf der, wie erwähnt, das Kesselhaus der Brauerei zu erkennen ist, die ihm vor vielen Jahren irgendwie in die Hände gekommen ist, ausgenommen, ohne mich wieder berichtigen zu müssen, denn wir sprachen vor Jahren schon eben über den Umstand, daß man damals nie auf den Einfall gekommen war, vom „Strauß“ Fotos zu machen, und daß dieses Foto damals entstand, ist schon beinahe als eine unabsichtliche und wenig die Zukunft bedenkende Handlung anzusehen), weil es nicht in meinem kleinen Fotoapparat entstand, in jener „Kodak Instamatic“-Box, die in ihrer Kleinquaderform an die Kästen der frühen photographischen Apparaturen erinnert (ich schreibe im Präsens, denn ich habe diesen Fotoapparat noch), die ich zur Konfirmation geschenkt bekam; wenn ich mich nicht, wie es gestern schon wieder vorgekommen ist, falsch erinnere, sogar von meiner Göttinger Verwandtschaft väterlicherseits? Dann wäre das Foto, das mich am Konfirmationstag in meinem Konfirmandenanzug zeigt, auf dem ich in einer Hand ein Buch halte, die Bibel vermutlich, mit der anderen mich am VW-Käfer mit dem GÖ-Autokennzeichen abstütze, aber so, daß eine lässig-elegante Haltung dabei natürlich gewahrt bleibt, eines der ersten Fotos, die mit dieser Kamera – eigentlich ist diese Bezeichnung für dieses einfache Modell, das mir aber über Jahrzehnte hinweg treue Dienste leistete, nicht angebracht – gemacht wurden? Und mit ihr lichtete ich auch die Ruine des „Strauß“ ab, im Januar 1996, weil ich für das Ankündigungsplakat der Lesung des Poems, das ich im Januar `96 aber noch schrieb, nachdem ich es im November `95 begonnen hatte, Aufnahmen von diesem traurigen Anblick haben wollte; und nicht nur für dieses Plakat, sondern auch, weil mir plötzlich bewußt geworden war, wie wichtig einmal diese Fotografien sein könnten. Klaus Leupolz fotografierte mich an einem anderen düsteren Januarnachmittag vor der auf diesem hier abgebildeten Foto zu sehenden „Strauß“-Ecke stehend; ich halte einen Schnellhefter in der Hand, der suggerieren sollte, daß sich in ihm der Anfang März dann vorgelesene Text befände. Sein Foto wurde zum Ankündigungsartikel der Presse veröffentlicht. Sein Foto sollte, denn weder er noch sonst jemand wußte um seinen Zustand, seine letzte künstlerische Handlung sein; zwei Wochen später stürzte er in der Nacht vor der geplanten Abreise nach Australien und Asien schwer von der Kellertreppe, und als er nach einer Woche genau untersucht wurde, hatten die Ärzte den Tumor entdeckt.
- Heute kam kein Sonnenstrahl durch die Wolkenschicht. Abends Regen.
5.5.2002
Klaus-Dieter Diedrich (1951-2006): "Die Biberacher Zeit"

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