30
Apr

30.4.2002

Als ich im Februar Tag für Tag ins Kreiskrankenhaus ging und die Tage, bis etwas siebzehn Uhr, dort mit den von mir zu verrichtenden Arbeiten, die ja nicht sehr anstrengend waren, verbrachte, schob zunächst noch Kruse diesen länglichen Wagen, auf dem wir die Säcke stapelten. Kruse war um zwei Jahre (?) älter als ich, aus irgendwelchen Gründen, die er mir einmal erklärte, die ich aber vergaß, leistete er erst jetzt seinen Dienst ab – hatte er nicht eine handwerklich-kunstgewerbliche Ausbildung zuvor gemacht? – und war, als ich dazukam, mit den Gepflogenheiten im Krankenhaus so vertraut, daß er längst, denn das Ende seiner Dienstzeit rückte näher, wußte, wann ein Päuschen die Arbeitszeit auflockern konnte, ein inoffizielles, neben Frühstücks- und Mittagspause (in letzterer ging ich über den Gigelberg nachhause), ohne daß Herr ...., der Hausmeister, uns dabei stören konnte, oder die Mutter Oberin, die höchste Vorgesetzte hier, uns zufällig in der dafür ausgewählten Ecke im Gebäudekomplex oder drum herum über den Weg lief; das kam höchstens auf einem der Gänge, auf einem der Stockwerke, vor; würdevoll, allein oder mit zwei Schwestern im Gefolge, schritt sie, die wir höflich grüßten, mit einem schwachen Lächeln huldvoll den entbotenen Gruß beantwortend, an uns vorüber. Kruse war sehr groß, sehr hager, sein längliches Gesicht, von langen Strähnen umflattert, wirkte trotz seines noch jugendlichen Alters nicht mehr frisch, von Falten gekennzeichnet; sein Gesicht hatte damals schon die Tendenz, seine Ausformung der eines Totenkopfes anzunähern, es war ausgemergelt. Er verfügte über einen coolen Humor, gab Sprüche zum besten, die nicht dämlich waren, er sprach langsam, eine Spur von Nachdenklichkeit war oft in dem, was er von sich gab, zu vernehmen, auch wenn das Gesagte fast nur Alltagsangelegenheiten meinte. Ich merkte aber schnell, daß der Lauf der Welt ihn nicht gleichgültig ließ. Er strahlte Ruhe und Gelassenheit, fast Bedächtigkeit aus, nur einmal erlebte ich ihn hektisch, im Verbrennungsraum, als... Ich kam gut mit ihm aus. In den selbst erlaubten Päuschen rauchten wir eine Zigarette, tranken vielleicht sogar mal ein Bierchen, dann sammelten wir wieder Säcke ein. Das war doch an den Vormittagen unsere hauptsächliche Arbeit. Aber was war in solchem Hilfshausmeisterdienst noch zu tun? Ich erinnere mich nur an das Einsammeln und Verbrennen der Müllsäcke und an das dann allmählich nervende „Fäega! Fäega!“, denn Handwerkliches vollbrachte ich doch nie, wäre auch gar nicht fähig dazu gewesen. Gebastel hatte mich nie begeistert. Die Säcke einzusammeln, von Gang zu Gang, von Station zu Station, bedurfte es mehrerer Fahrten mit dem Karren. War er voll beladen, die Säcke türmten sich, fuhren wir ihn – bald schob auch ich ihn, denn das mußte ich, jawohl, lernen, weil Kruses Tage als Zivi dahin schmolzen – zum Lastenaufzug, mit dem sanken wir in den Keller, dort luden wir im Verbrennungsraum die Last auf die Vorbühne, von der aus der große Ofen mit dem breiten Fütterungsmaul dasselbe mit dem Müllmaterial gestopft bekam. Dieser Ofen war unersättlich, brannte am Tag und in der Nacht, nachts auf kleinerer Stufe. Auch am Nachmittag wurde ihm noch Nahrung zugeführt. Die Ausdünstungen, die er beim Öffnen seines Lochs von sich gab, waren nicht eben gesundheitsfördernd. Ich hielt die Luft an, so gut ich konnte, zu Zeiten Kruses, als er das Befeuern, der Gewohnheit folgend, weiterhin besorgte, und danach, als Falk und ich uns damit abwechselten. Wir Zivi-Hiwis oder -Hihas wurden, trotz dieser Gefährdung unserer Gesundheit, glücklicherweise nicht zu einem unliebsamem Aufenthalt in einer der oberen Etagen gezwungen. Wenn ich an die gebrauchten Spritzen denke, die durch die Arbeitshandschuhe stachen, als ich die Säcke packte ... Vor Dienstantritt war ich gegen diverse Unbillen geimpft worden, aber dennoch war mir’s nicht geheuer, wenn das wieder einmal, obwohl auch ich durch Erfahrung klüger zu werden pflegte und vorsichtiger mit dem Müllzeug umging, passierte. Manche dieser Säcke hatten’s in sich. Nicht nur Spritzen. Mit Äther getränktes OP-Saal-Material. Keine Menschenteile, aber Watte, Mull, was so anfällt, wenn mal ein Teil ausfällt.
Kruse brachte mir bei, auf die Säcke aus den OPs und aus der Intensivstation – wir latschten dort mit unseren staubigen Arbeitsmänteln (jetzt trug ich selber so einen) hinein und hinaus, und nebenan hingen die Schwerstkranken an den Schläuchen..., aber wir mußten ja dort hinein, hätten wir’s nicht getan, mit Rücksicht auf Hygiene, hätten wir Schelte erhalten, und wir taten brav unseren Job – zu achten, sie wurden unten in ihre Extraecke gelegt und zum Schluß des Ofenfütterungsvorgangs verfeuert. Hei, wie’s platzte, wie’s pratzte, wie’s verpuffte und dumpf knallte – mit Stichflammen mitunter, die aus dem Ofenloch sprangen! Kruse warf einen „kritischen“ Sack hinein – machte einen Satz zurück, es zuschte, zischte, Feuer leckte nach ihm, ich stand an der Tür und beobachtete seine artistische Nummer durchaus interessiert. Ein Gestank nach Tod und Teufel verbreitete sich, ich öffnete rasch die Tür und verharrte für ein paar Sekunden davor, bis sich die ekelhaften Düfte wenigstens etwas verzogen, mit dem muffigen Kellergeruch vermischt hatten. Die Lüftungsanlage – gab’s überhaupt eine? – war in solchen Augenblicken hoffnungslos überbeansprucht. Eines Vormittags hatten Kruse und ich zu viele Äthersäcke auf die Vorbühne gelegt, um schneller fertig zu werden. Mein Zivildienst leistender Kollege warf einen von ihnen hinein. Es knallte, wie es zuvor nie geknallt hatte! Nun wirklich erschrocken, sprang Kruse zurück, die Flamme hätte ihn beinahe erwischt. Um nicht vergeblich herausgeschnellt zu sein, berührte sie einen der anderen Säcke (Funken müssen auf ihn gefallen sein), der begann sogleich zu schmelzen, seine Innereien boten dem unsichtbaren Feuer neue Nährstoffe, sehr schnell wurde es sehr sichtbar. Ein kleiner Brand entstand. Kruse trat in wildem Tanz um sich, ich rannte zu einer Putzkammer in der Nähe, in der ich einen Eimer wußte, füllte diesen an einem Hahn dort mit Wasser, rannte zurück, Kruse hustete, er schlug mit einem der Säcke, die keinen brennbaren Abfall enthielten – die wir uns für den Nachmittag aufgespart hatten – auf die brennenden auf der Vorbühne ein, die direkt neben ihm qualmten, ich hievte den Wassereimer hinauf, er schüttete ihn fluchend über dem brennenden, stinkenden Zeug aus, ich rannte, ich holte Wasser, kam zurück, er schüttete; das Feuerchen verzischte allmählich, Kruse warf die halb verkohlten Säcke in den Ofen, den heraus gequollenen Müll, die verkokelten Innereien klaubte er sehr schnell auf, warf alles hinterher, ich eilte noch einmal zum Wasserhahn, stellte den Eimer in eine Ecke, als Reserve. Kruse schlug die Ofentür zu, verriegelte sie, im Raum hing der stinkende Schwelgeruch, die Tür stand sperrangelweit offen, Kruse taumelte das Treppchen herunter, wir flüchteten uns in den Gang. Kruses Gesicht war rauchgeschwärzt. Ich riet ihm, nach oben zu gehen und sich untersuchen zu lassen, aber er winkte ab. Er wollte nicht, daß jemand etwas davon erfuhr. Unser Chef, der Hausmeister, hatte irgendwo zu tun. Schon war auch der Mittag gekommen; bevor Kruse nachhause ging, sagte er, er würde heute nicht mehr kommen, ihm sei schlecht, ich solle aufpassen, ob sich noch etwas tue, im Verbrennungskeller, und auf eine dumme Frage des Hausmeisters eine passende Antwort haben. Aber niemand fragte. Ich blieb über Mittag im Haus und kontrollierte ab und zu unauffällig diesen Todesraum. Einige der Äthersäcke waren übrig geblieben. Ich nahm sie von der Nähe des Feuerlochs, verstaute sie unten in einer Ecke. Vor Dienstschluß wagte ich es, die „normalen“ Säcke zu verbrennen. Der Ofen verhielt sich ruhig. Vom Brandgestank war erstaunlich rasch nichts mehr zu riechen. In diesem Teil des Kellers war er nicht allzu auffällig, weil häufig die Tür zum Verbrennungsraum offen stand. Weder Hausmeister noch sonst jemand kam herunter. Oben hatte man nichts bemerkt. Ich bin mir ziemlich sicher, daß niemand von den Oberen je davon erfuhr. Vor allem nicht die Schwester Oberin.
- Schönes Wetter, nicht so kühl. Um 16 Uhr vertrübte sich der Himmel, der Wind frischte auf.
30.4.2002
Klaus-Dieter Diedrich (1951-2006): "Die Biberacher Zeit"

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