25.4.2002
In der Geschichte, und also auch in dieser Geschichte, die zur Geschichte wurde, weil sie ihren kleinen Teil dazutat, der benötigt wurde, damit Klios Streitwagen nicht vom besseren aller anderen Weg abirrte, tauchen immer wieder Figuren aus der Bedeutungslosigkeit, in der sie sich befanden, bevor die Muse sie mit einem herrischen Fingerwink an ihren stotternden Wagen befahl, auf, die mit Tun oder Nichttun, denn auch dieses ist ja eine sozusagen passive Handlung, wozu das bloße Danebenstehen auch zählt, mit ihrer bloßen Anwesenheit oder scheinbaren Anwesenheit gleichsam auf nicht- oder paraphysikalische Weise unsichtbar-ideenhaftes Schmieröl übertragen müssen, mit dem die ganze Chaise und Chose wieder weiterläuft, und die danach verschwinden und vergessen werden; und zwar zu Recht, wie die Nachfolgenden meinen, denn diese auch von Klio eigentlich ungeliebten Helferlein sind unansehnlich und werden am Schluß des Geschichtskapitels, und wenn sie wirklich Pech haben, auch in den folgenden nur als unappetitliche Erscheinung im zeitweiligen Gefolge der Göttlichen wahrgenommen. Brutus war wohl so einer.
Was aber diese 1972-Sache mit dem gescheiterten Mißtrauensvotum betrifft, so müssen wir uns hier nicht in allzu anstrengender Geschichtsmetaphysik und ihrer Mythologien ergehen; die Sache hatte eine handfestere Ursache; das Nichtstum, das Danebenstehen. (Mit was eigentlich lohnte Klio früher, in den Zeiten der Alten, solche Hilfsdienste? Aber vergessen wir nun das Ideenwesen, werden wir rational, um nicht zu sagen materialistisch.)
Im Juni 1973, Dr. Barzel war von seinen Parteifreunden schon geschasst worden, die Ostpolitik ging ihren Gang entlang, bis sie 1989 den Ausgang finden sollte, erklärte der CDU-Abgeordnete J. Steiner, ein unscheinbarer älterer Herr mit dicker Brille, er habe vom SPD-Fraktionsgeschäftsführer Wienand die für heutige Verhältnisse armselig anmutende Summe von DM 50 000 dafür erhalten, daß er sich am 27. April 1972 der Stimme enthielt. Was trieb den guten Mann dazu, sich zu outen? Er war ein unbedeutender Hinterbänkler gewesen, womöglich wollte er aus dem Schatten, den die vor ihm warfen, einmal wenigstens heraustreten?; aus dem Bundestag hatten ihn die Wähler schon hinausgeworfen. Wienand, Wehners, des Fraktionschefs, Helfer und Zuarbeiter, wanderte als zwielichtige Gestalt zwischen unklaren Fronten; sofort schoß die Opposition auf ihn, auf Wehner, den Ex-Kommunisten, auf Brandt. Der „Steiner/Wienand-Untersuchungsausschuß“ wurden einberufen, der tagte bis 27. März 1974, dem Tag seiner Auflösung, ohne Wahrheit von Wienand, Wehner, wem auch immer, Steiner sowieso nicht mehr, eigenartigerweise, erhalten zu haben. Ähnliches gab es ja auch zu Beginn dieses Jahrhunderts, bei Kohl, Co & Cie. Niemandem konnte nichts bewiesen werden. Wienand stand im Verdacht, unerklärte Kontakte zum Ministerium für Staatssicherheit der Deutschen Demokratischen Republik zu unterhalten. Das war richtig, wie sich herausstellte, als diese Republik nicht mehr existierte und Einblick in gewisse Akten genommen wurde. Wienand, der im Sommer 1974 von seinem Amt zurückgetreten war und wenige Monate danach auch sein Abgeordnetenmandat niedergelegt hatte, war tatsächlich der Überbringer der fünfzig Riesen gewesen; er hatte sie von der Stasi in die Hand gedrückt bekommen, denn wie die deutschen Dinge damals so lagen, hatte die DDR-Regierung ein vitales Interesse daran gehabt, daß Brandts Ostpolitik, die ihr die Anerkennung als Staat und die Aufnahme in die Vereinten Nationen ermöglichen sollte, was dann auch geschehen war, fortgesetzt wurde. Dr. Barzel, der ja nicht dumm war, hatte damals schon gegiftet: „Brandt ist ein Kanzler von Stasis Gnaden.“ Erstaunlich war dann, daß sich das 1974 als nicht unbedingt ganz falsch herausgestellt hatte. Brandts Persönlicher Referent, Günter Guillaume, eingeweiht in alle Kanzlerangelegenheiten, war als Stasioffizier enttarnt worden. Man hatte danach gemunkelt, Wehner (der Mann mit der Sherlock Holmes-Pfeife), habe das seine dazu getan, um Brandt, den er nicht leiden konnte, die Kanzlerwürde zu nehmen und Schmidt (den mit dem Haarerlaß) zu krönen. Staatsaffäre, Rücktritt Brandt.
Von J. Steiner redete niemand mehr. Im Sommer 1974 sah ich ihn zufällig, als er vor mir in der Stadtbücherei, in Biberach, über den Teppichboden lief. Er wohnte nämlich in Biberach an der Riß, war von 1969 bis 1972 einer der beiden CDU-Abgeordneten des Wahlkreises Biberach gewesen. Dieser CDU-Demokrat hatte der deutschen Demokratie, zumindest der Deutschen Demokratischen R., mit seinem konstruktiv korrupten Abstimmungs- und Handaufhalten also, wahrscheinlich ohne es zu wissen und zu wollen, in nicht zu unterschätzender Weise einen Gefallen getan; das Rad der Geschichte an Klios Gefährt so gut geschmiert, daß die deutsche Politik in den Siebzigern ff. so lief, wie sie lief. Man sollte ab und zu an ihn denken; aber solche Leute mögen auch die Biberacher nicht. Wer enthielt sich `72 jener anderen Stimme? Es wurde nie publik, in der Bundesre-.
- Graue Watte über der Stadt.Vor 18 Uhr flog nur ein matter Sonnenschimmer darüber, der schnell flüchtete. Nicht kühl.
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Was aber diese 1972-Sache mit dem gescheiterten Mißtrauensvotum betrifft, so müssen wir uns hier nicht in allzu anstrengender Geschichtsmetaphysik und ihrer Mythologien ergehen; die Sache hatte eine handfestere Ursache; das Nichtstum, das Danebenstehen. (Mit was eigentlich lohnte Klio früher, in den Zeiten der Alten, solche Hilfsdienste? Aber vergessen wir nun das Ideenwesen, werden wir rational, um nicht zu sagen materialistisch.)
Im Juni 1973, Dr. Barzel war von seinen Parteifreunden schon geschasst worden, die Ostpolitik ging ihren Gang entlang, bis sie 1989 den Ausgang finden sollte, erklärte der CDU-Abgeordnete J. Steiner, ein unscheinbarer älterer Herr mit dicker Brille, er habe vom SPD-Fraktionsgeschäftsführer Wienand die für heutige Verhältnisse armselig anmutende Summe von DM 50 000 dafür erhalten, daß er sich am 27. April 1972 der Stimme enthielt. Was trieb den guten Mann dazu, sich zu outen? Er war ein unbedeutender Hinterbänkler gewesen, womöglich wollte er aus dem Schatten, den die vor ihm warfen, einmal wenigstens heraustreten?; aus dem Bundestag hatten ihn die Wähler schon hinausgeworfen. Wienand, Wehners, des Fraktionschefs, Helfer und Zuarbeiter, wanderte als zwielichtige Gestalt zwischen unklaren Fronten; sofort schoß die Opposition auf ihn, auf Wehner, den Ex-Kommunisten, auf Brandt. Der „Steiner/Wienand-Untersuchungsausschuß“ wurden einberufen, der tagte bis 27. März 1974, dem Tag seiner Auflösung, ohne Wahrheit von Wienand, Wehner, wem auch immer, Steiner sowieso nicht mehr, eigenartigerweise, erhalten zu haben. Ähnliches gab es ja auch zu Beginn dieses Jahrhunderts, bei Kohl, Co & Cie. Niemandem konnte nichts bewiesen werden. Wienand stand im Verdacht, unerklärte Kontakte zum Ministerium für Staatssicherheit der Deutschen Demokratischen Republik zu unterhalten. Das war richtig, wie sich herausstellte, als diese Republik nicht mehr existierte und Einblick in gewisse Akten genommen wurde. Wienand, der im Sommer 1974 von seinem Amt zurückgetreten war und wenige Monate danach auch sein Abgeordnetenmandat niedergelegt hatte, war tatsächlich der Überbringer der fünfzig Riesen gewesen; er hatte sie von der Stasi in die Hand gedrückt bekommen, denn wie die deutschen Dinge damals so lagen, hatte die DDR-Regierung ein vitales Interesse daran gehabt, daß Brandts Ostpolitik, die ihr die Anerkennung als Staat und die Aufnahme in die Vereinten Nationen ermöglichen sollte, was dann auch geschehen war, fortgesetzt wurde. Dr. Barzel, der ja nicht dumm war, hatte damals schon gegiftet: „Brandt ist ein Kanzler von Stasis Gnaden.“ Erstaunlich war dann, daß sich das 1974 als nicht unbedingt ganz falsch herausgestellt hatte. Brandts Persönlicher Referent, Günter Guillaume, eingeweiht in alle Kanzlerangelegenheiten, war als Stasioffizier enttarnt worden. Man hatte danach gemunkelt, Wehner (der Mann mit der Sherlock Holmes-Pfeife), habe das seine dazu getan, um Brandt, den er nicht leiden konnte, die Kanzlerwürde zu nehmen und Schmidt (den mit dem Haarerlaß) zu krönen. Staatsaffäre, Rücktritt Brandt.
Von J. Steiner redete niemand mehr. Im Sommer 1974 sah ich ihn zufällig, als er vor mir in der Stadtbücherei, in Biberach, über den Teppichboden lief. Er wohnte nämlich in Biberach an der Riß, war von 1969 bis 1972 einer der beiden CDU-Abgeordneten des Wahlkreises Biberach gewesen. Dieser CDU-Demokrat hatte der deutschen Demokratie, zumindest der Deutschen Demokratischen R., mit seinem konstruktiv korrupten Abstimmungs- und Handaufhalten also, wahrscheinlich ohne es zu wissen und zu wollen, in nicht zu unterschätzender Weise einen Gefallen getan; das Rad der Geschichte an Klios Gefährt so gut geschmiert, daß die deutsche Politik in den Siebzigern ff. so lief, wie sie lief. Man sollte ab und zu an ihn denken; aber solche Leute mögen auch die Biberacher nicht. Wer enthielt sich `72 jener anderen Stimme? Es wurde nie publik, in der Bundesre-.
- Graue Watte über der Stadt.Vor 18 Uhr flog nur ein matter Sonnenschimmer darüber, der schnell flüchtete. Nicht kühl.
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