21
Apr

21.4.2002

„Anerkannt werden Sie doch nie“, sagte einer der Unteroffiziere, oder der Fähnrich, auf dem Schießplatz. „Warum überlegen Sie sich’s nicht und werden Zeitsoldat?“ Ich schüttelte den Kopf. Das war einer der Versuche gewesen, mich auf die andere Seite zu ziehen. Sie waren nicht zahlreich; zeigten mir aber, was sie von mir hielten, und ich faßte es als Kompliment auf. Sie faßten mich mit Samthandschuhen an. Ich hatte mit ihnen keine Probleme; mehr. Fast akzeptierten sie meine Haltung: Dienst nach Vorschrift, nicht mehr, nicht weniger, dafür das mit jener Ablehnung, die sie kannten.
Ich hatte Führungsqualitäten. Sie wollten mich ab und zu ein bißchen auf den Geschmack bringen. Der Stabsunteroffizier, für den Zug verantwortlich, kommandierte mich gelegentlich aus der Reihe: „Jäger Diedrich, führen Sie den Zug! Sie wissen ja wohin!“ Ich trat heraus, neben den dahin latschenden Zug, die Lücke in der Reihe wurde geschlossen, ich war kommissarischer Zugführer für `ne Viertelstunde, aber kein Politkommissar. Den gab’s nicht bei der Bundeswehr, nur auf der anderen Seite. Die Jungs kannten das schon, wenn ich schrie: „Liiinks um!“, oder „Reeeechts um!“, oder „Zwoter Zuuug halt!“ Das „um!“ oder das „halt!“ stieß ich umso kürzer aus, je länger das „Liiiinks ..“ oder das „Reeeechts ...“ gezogen worden war; eher verstümmelt, ein Grunzlaut. Es war, das beabsichtigte ich jedenfalls, versteckt parodistisch; manche im Zug feixten tatsächlich. Der Stuffz marschierte irgendwo daneben und tat so, als bemerkte er es nicht. Sehr häufig kamen solche Szenen aber, auf meine letzte Zeit dort angerechnet, nicht vor.
Übrigens hatte ich ziemlich gute Schießergebnisse. Einmal, nicht damals, als ich mir den erwähnten Vorschlag durch den Kopf gehen lassen sollte, und er ging dort ja auch, bis zu der Stelle, an der er in einem Erinnerungsneuron verschwand und blieb, lobte mich einer der Dienstgrade, der neben mir hockte, denn man schoß ja im Liegen, dafür, ich gab ihm zu verstehen: „Na ja, vielleicht kann ich’s noch mal brauchen.“ Ich konnte sehen, wie ihm das Kinn runterfiel. Er wußte, was ich meinte. (Es gab in jener seltsamen Zeit – seltsam schon deshalb, weil kein Rekrut von heute, übrigens auch kein Kriegsdienstverweigerer, sich vorstellen könnte, mit Haarnetz sei man bei der Bundeswehr, und innerhalb dieser in einer Art special force, einer Kampfeinheit, in der das perfektioniert wird, herum gesprungen; überhaupt hat sich seitdem viel verändert, nur eben nicht so, wie vor dreißig Jahren erhofft, auch wenn schon zu erahnen war, daß auch solche Hoffnungen zum Willen zur Irrationalität zählten – junge Genossen in der DKP, die zur Bundeswehr gerne wollten; die nicht im Namen des Herrn, wie auch noch zu meiner Zeit mancher Feldprediger dem Panzerfutter mit dem Oberbegriffsnamen „Infanterist“ in nicht mehr so offenen Worten wie zu Wilhelms und Adolfs Zeiten, eher gewundener, weismachen wollte, sondern im Parteiauftrag unterwegs waren, in die imperialistische Armee. Viele waren es nicht, einige von ihnen marschierten dann nicht nur dort, sondern in Uniform auf linken Demos vorneweg, damit jede Kamera sie einfangen konnte. Dafür erhielten sie anschließend, wg. Verstoßes gegen das Soldatengesetz, Disziplinarverfahren, denn es ist nicht erlaubt, in Uniform auf Veranstaltungen von Parteien zu erscheinen. Ob die höheren Ränge, die dekorierten, das auch so hielten?) Diesem Dienstgrad neben mir, dem sich der Mund öffnete, ohne daß er etwas hätte sagen wollen, war nämlich bekannt – das war der background seiner Verblüffung, sein Etappenwissen sozusagen – , wie ihnen allen, die mit mir zu tun hatten, daß ich die „UZ“, Zeitung der DKP, regelmäßig bezog. Daß ich inzwischen, ab Juni 1972, Mitglied dieser Partei war, war ihm jedoch nicht bekannt. Ich marschierte nicht in Uniform draußen auf Demos. (... Außerdem hatte die RAF schon mit ihrem unseligen Treiben begonnen.) Eines Tages im frühen Sommer war ein Exemplar dieser im Streifbandzeitungsversandverfahren verschickten Zeitung bei mir nicht, wie bisher üblich, wie das andere Blatt, auf der Stube angekommen. Ich vermutete etwas.
- Frühjahrssonnenschein. Nur selten Verschattungen. Mild.
21.4.2002
Klaus-Dieter Diedrich (1951-2006): "Die Biberacher Zeit"

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