18
Apr

18.4.2002

Heiter ging’s weiter, beim „Bund“, manchmal. – Nach den verbalen Geplänkeln mit Dienstgraden lief nun auch der Dienst für mich richtig an. Ich marschierte, meistens „in der Gruppe“, durch die Landschaft um Bayreuth, wurde mit MTWs – gepanzerten Mannschaftstransportwagen – herumkutschiert, zu Übungen an der frischen Luft am Tag und in den Nächten. Winzige rote Pünktchen über Gras: ich rauchte mit den Kameraden in ruhigen Minuten, in ruhiger Stellung, Zigaretten, wir tranken manchmal Bier, das wir uns besorgten oder der Unteroffizier. Drückte mich, so gut es ging, und oft ging es, vor’m Schwimmen in Hallen. Schoß mit dem G3 auf Pappkameraden. Einmal pro Monat gab’s „Nato-Alarm“, es wurde der Ernstfall geprobt, der damit begann, daß ganz schnell der Spind, in dem man seine sieben Sachen hängen und liegen hatte, leer geräumt und sein Inhalt in See- und Rucksäcke verstaut werden mußte. Regelmäßig bekamen wir Rekruten am Abend zuvor einen verklausulierten Tip vom Unteroffizier. Gerüchte machten die Runde, die, wie wir dann wußten, ihren Wahrheitskern hatten. Mein Problem waren die Zeitungen, die ich dann los werden mußte. Ich bezog im Abo, an die Bundeswehr-Adresse, die „Frankfurter Rundschau“ und die „UZ“, Zeitung der DKP. Ich kaufte die „Zeit“ außerhalb der Kaserne, in ihr gab es sie nicht, die „Rundschau“ natürlich auch nicht. Von der Existenz einer „UZ“ hatte, bevor sie wegen mir in der Schreibstube ankam, kein Insasse dieser Kaserne eine Ahnung. „Bild“ und „Welt“ und ein örtliches Blatt gab’s. Das Papier war bei Alarm lästig. Ich stopfte es einmal, weil ich aus irgendwelchen Gründen keine Zeit gehabt hatte, es zu vermüllen, in meinen Seesack, zum anderen Zeug. Der kam zu den anderen Seesäcken, die wurden vor dem Gebäude aufgehäuft und wurden an einen geheimen Ort gefahren, an den, der auch für uns geheim blieb. Das geheime Örtchen – mit bald installiertem Donnerbalken im Gebüsch nebenan (wirklich ein Balken über einer ausgehobenen Grube, über der man den Arsch balancierte) – lag dann in einem Wald der Umgebung, denn im Wald, da sind nicht nur die Räuber, sondern auch die Jäger. Aus solchen Angelegenheiten wurden mehrtägige Übungen. Wir krauchten durch’s Unterholz und suchten den Feind, mit Tarnen und Täuschen vertraut. „Jégé sand hort! Im Geben hort, im Nehmen hort!“ Das war der Ruf zum Schlachten. Jégé: Jäger; im Dialekt der Gegend. Mit grimmiger Belustigung an meiner Perversion brüllte ich den Ruf und beobachtete das Tier, das sich in mir regte. Abends schüttelten wir Langhaarigen, aber bald nicht mehr, den Kopfschmuck aus dem Netz.
Zapfenstreich in der Kaserne war um zehn oder elf. Manchmal rotteten wir uns zu fünft oder sechst zum Diskobesuch in Bayreuth zusammen. Wir hockten um die Biergläser herum. Ich trank auch schon mal einen Whisky, den ich nicht vom Sold zahlen konnte. Aber ich hatte etwas Geld mitgenommen. Um sechs Uhr morgens kam der Uffz herein und brüllte, wir schlichen zu den Duschen. Danach Appell auf dem Gehweg vor dem Kasernengebäude. Der Tag wurde aufgeteilt. Wir marschierten, stapften über den Kasernenasphalt, hin und her, rannten mit Gasmasken durch schlecht belüftete Straßenkampfszenerien und quälten feuchte Wiesen mit unseren Stiefeln. Alles ausgiebig.
„Lauft nicht auf wie die Warmen!“ schrieen die Dienstgrade. Ich grinste wieder, innerlich. Dieser beliebte Spruch sollte heißen: rückt dem Vordermann nicht zu nah an den Arsch. Gab es Schwule in der Kompanie, im Zug, in der Kaserne? Zwei Gesichter, nicht unhübsch, meinetwegen drei, aber auf keinen Fall mehr, waren dabei, deren Inhaber schienen mir empfänglich für’s Thema zu sein. Einer aus Geislingen. Mit ihm zusammen fuhr ich einmal, im Sommer, per Daumen von Bayreuth nach Ulm, weil der Dienst eines Freitags zu spät geendet hatte und der Zug weg war. Ein anderer, von weiß Gott woher. Ich forschte bei beiden nicht nach, weder im Dienst noch außerhalb. Mein Auftreten war ziemlich männlich; auch sonst im Leben übrigens, trotz, wegen, feminin wirkender Züge. Auch bei der Bundeswehr war ich hübsch.
- Zwischen den grauen Wolken tanzten immer wieder, aber in Stundenabständen, Sonnenstrahlen hervor. Alles in allem bedeckt, hin und wieder Frühlingshelligkeit. Ca. 12 Grad Celsius.
18.4.2002
Klaus-Dieter Diedrich (1951-2006): "Die Biberacher Zeit"

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