17
Apr

17.4.2002

Über Genet las ich da und dort in den Feuilletons der frühen Siebziger, aber so richtig interessiert war ich an diesem Autor nie. Sartre hatte ihn in den Fünfzigern, Sechzigern unterstützt, ihn als Schriftsteller, eher: Dichter, aus einer nicht gesellschaftsfähigen Ecke an’s Licht gezogen; gemeinsam mit Cocteau beim französischen Staatspräsidenten seine Begnadigung erreicht; wußte ich im Jahr 1971, oder ’72. Elian Feuchter-Uhl, die seit den Tagen des Republikanischen Clubs zu meinem Freundeskreis gehörte, eine Freundin war, wie sie Schwule haben, ohne Schwulenmutti zu sein, das war sie nämlich ganz und gar nicht, obwohl sie natürlich für das Thema ein aufgeklärtes Verständnis hatte, hatte mir öfter von Genets Stücken, „Der Balkon“, „Die Zofen“, erzählt, aber eher so nebenbei. Wenn ich mich nicht irre – ich denke jetzt aber nicht an Jack Hawkins –, hatte sie, irgendwann Ende der Sechziger in Düsseldorf, wo sie einmal Schauspielunterricht genommen hatte, in einem dieser Stücke auch gespielt; aber dafür würde ich nun nicht meine Hand ins Feuer legen. Sie war mittelgroß, trug die schwarzen kräftigen Haare sehr lang, bevorzugte Röcke, die ihre ein wenig stämmige Figur gut kleideten, war interessant-gutaussehend, aber nicht in der banalen „hübschen“ Weise, hatte Intelligenz und eine spitze Zunge, wenn es ihr geboten schien. Wir hatten uns schnell angefreundet und saßen oft, nach meiner Bundeswehr-, während der Zivildienstzeit (über beide gibt’s noch etwas zu lesen), aber hauptsächlich danach, im „Strauß“ und in anderen Biberacher Lokalen zusammen; sie war dann die Hausherrin über die Karpfengasse 24, als sie mit Freunden und Bekannten dort in der ersten Phase dieser Wohngemeinschaft, bis etwa Sommer 1975, wohnte. Eine prägende Persönlichkeit, und sie so zu bezeichnen ist berechtigt, der Siebzigerjahre-Szene in Biberach an der Riß.
Genet war Sartre damals gerade recht gekommen, um an ihm seine Philosophie etwas zu schärfen. Eigentlich beeindruckte mich Sartres Lob über Genet und dessen schwuler Außenseiter- und Knastliteratur nicht. Ich las es, vergaß es; ich müßte in den Büchern nachsehen, wollte ich hier darüber referieren, was langweilig wäre. Soll jeder, den es angeht, selber tun. Aber irgendwann in der ersten Hälfte der siebziger Jahre las ich doch „Notre-Dame des Fleurs“; ich glaube, das Buch war sogar in der Biberacher Stadtbücherei auszuleihen. Genets Literatur, die sich nicht nur mit dem Schwulsein begnügt, ist sicherlich etwas vom Ehrlichsten und Eindringlichsten, und ich lasse dieses Wort stehen..., auch das Wort „stehen“... , was das Genre der Homosexuellenliteratur hervorbrachte, aber mich sprach es nicht sehr an. Natürlich stand mir da wieder die Moral ein bißchen im Weg. Was ich las, fand ich aufschlußreich und exotisch, aus einem gesellschaftlichen Raum kommend, für den man als Linker Sympathien zu haben hatte, der mich dennoch wenig anging, wenngleich einer wie ich sich freilich immer heimlich und fast unhörbar für sich selber flüstern mußte, daß man sehr wohl nicht davor gefeit war, entweder aus politischen oder sexuellen Gründen eines Tages im Kittchen zu landen; aber sehr wahrscheinlich war das bei mir nicht, dazu war ich nicht abenteuerlich genug drauf. Ich kann mich aber schon einmal an einem hübschen Jungen erfreuen, rein platonisch, versteht sich, aber selbst das kann einen doch sehr unvermittelt rasch in den Ruch des Kinderschänders bringen; damals war das Thema auch nicht gerade einfach. Doch meine Liebe gehört dem jungen, meinetwegen sehr jungen Mann; der aber kein Kraftprotz sein darf, so käme einer wie Querelle nicht in Frage – seine Abenteuer sah ich mir 1982 oder 1983 in Faßbinders Film an. Den Roman von diesem Mörder- und Matrosen-Helden, so er einer ist, und ich denke schon, daß er einer ist, hatte ich nie gelesen; habe ich bis heute nicht, nur wenige Seiten, denn als die Stadtbücherei Mitte der neunziger Jahre ihre Bestände neu sortierte und vieles hinausbeförderte, da nahm ich auch dieses Taschenbuch an mich, ohne daß ich das Bedürfnis, es zu lesen, gehabt hätte. Nun lehnt es sich an das „Tagebuch eines Diebes“, ebenfalls von Jean Genet, an. Das las ich zu Beginn der Achtziger. Das ist alles, was ich von diesem Dichter kenne. Einige seiner politischen Ansichten gefielen mir. Hatte nicht Hubert Fichte Interviews mit ihm gemacht? Müßte ich nachsehen, aber der Text, der fortzuschreibende Text, wird mich nicht lassen. Mehr fällt mir zu Genets Einflüssen auf mein Leben jetzt nicht ein.
- Der Tag begann mit zögerndem Sonnenschein, verdüsterte sich für Stunden, bekam nach 17 Uhr noch einmal helles Sonnenlicht, das rasch von Regenwolken verdrängt wurde. Abends fiel ein bißchen Regen, über längere Zeit.
17.4.2002
Klaus-Dieter Diedrich (1951-2006): "Die Biberacher Zeit"

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