12.4.2202
Gestern, in das allmähliche Aussinnen der gestrigen Darlegungen zwischen der Buchlektüre und dem Anruf von Manfred Schmidt, der ja fast keinen Tag oder eher Abend verstreichen läßt, ohne mich aus Biberach anzurufen, ist plötzlich ein Geräusch in meine Gehör- und Gedankengänge eingedrungen, das ich in Berlin bisher, in drei Jahren, nur sehr selten hörte: das Fluggeräusch eines „Düsenjägers“. Ist dieses Wort noch im Sprachgebrauch? „Düsenjäger“ – das waren, vor allen anderen militärischen Strahlflugzeugen (ein Flugzeugbauer würde jetzt wahrscheinlich die Stirn runzeln, aber technisch war ich noch nie sehr versiert), und größere und zivile Flugmaschinen wurden mit diesem Wort nicht bezeichnet, die Starfighter der Bundeswehr, die, um deren Beschaffung durch den CSU-Boß und Verteidigungsminister F.J. Strauß, Urheber auch der „Spiegel-Affäre“ im Jahr 1962, ein Mann, der „lieber ein kalter Krieger als ein warmer Bruder“ sein wollte und der das deutsche Parlament der Demokraten belog und gehen mußte, sich wenig Lorbeer, dafür ein nicht ganz unbeachteter Skandal wand. Das wußte ich natürlich nicht, in der Mitte der sechziger Jahre, als das Dröhnen hoch in den blauen oberschwäbischen Lüften mit dem Knall endete, in dem diese Maschinen die Schallmauer durchbrachen. Der Luftraum über Oberschwaben war immer Übungsflugraum gewesen; bis im Jahr 1983 solch ein Ding, jedoch keiner der „Sternenkämpfer“ – hallo Sci-Fi; diese Flugzeuge wurden in respektlosen Kreisen auch gerne „Erdnägel“ genannt, weil sie die eigenartige Neigung, sozusagen, hatten, sich unvermittelt in die Erdkruste zu bohren –, sondern ein Exemplar eines anderen Fabrikats auf den Biberacher Stadtteil Birkendorf hernieder krachte und ein Wohnhaus zerlegte. Biberacher wurden dabei allerdings – o liab’s Herrgöttle vo Biberach! – nicht getötet, der nichtbiberacherische Pilot meines Wissens auch nicht. Nach diesem Unfall wurde, denn immer müssen ja nach solchen Zwischenfällen die Ängste der murrenden Bevölkerung für einige Wochen oder gar Monate eingeschläfert werden, und dafür störten die Knallereien, mit denen Mach 1 erreicht wird, verständlicherweise, der militärische Flugverkehr über der Region ausgesetzt, dann eingeschränkt erlaubt, bis sich der Unmut im Alltag auflöste wie der Kondensstreifen hinter einem Jet. Das langgezogene, durchdringende, mal lautere, mal in höheren Höhen leisere, mal dumpf orgelnde, mal pfeifend sirrende Geräusch, das mit diesen wenigen Adjektiven noch längst nicht hinreichend charakterisiert ist, aber jeder, diejenige und derjenige wenigstens, die und der ihre und seine Jugend, und wenn es nur die Jugend war, in Oberschwaben, meinetwegen auch in anderen Alt-BRD-Landstrichen, verlebte, hat dieses Geräusch im Ohr; es war ein typisches jener bundesrepublikanischen Jahrzehnte der Sechziger und Siebziger. Mit diesem Geräusch steigt in mir das erstgenannte aber plastischer auf als das zweite; das „Düsenjäger“-Kreischen ist für mich ein Ton der Sechziger.
In ein paar der Nachmittage jener Zeit, die mir im Nachdenken als eine noch behaglich-unaufgeregte in den Erinnerungen erscheint, worin auch dieses beruhigende adoleszente Gefühl des Zuhause- und Beisichseins, mit seinem sanft und lang schwingenden, doch unhörbaren Grundton, der noch, gerade im Erinnern, durch die Körperzellen summt, seine Wirkungen tut, saß ich mit meinem Jugendfreund Helmut im Eßzimmer seines elterlichen Hauses, im ersten Stock, aus dem der Blick über den sanft abfallenden Garten – in dem der Unfall mit dem Ast geschehen war – zum älteren Haus ging, nach Süden, Richtung Stadtmitte, von der freilich nichts zu sehen war, wo wir uns die Zeit nach der Erledigung der Hausaufgaben mit einem Kartenspiel vertrieben, in dem man auf gewisse Weise, an die ich mich nicht mehr entsinne, verschiedene Flugzeugtypen, vor allem Jetflugzeuge, zusammen bekommen mußte, um eine Runde des Spiels gewonnen zu haben. Und Starfighter waren auf diesen Karten auch abgebildet. An solchen Nachmittagen in der Mitte der sechziger Jahre, nicht nur an grauen Tagen, von denen Biberach reichlich hatte, und in den Herbsten konnte die Stadt ein rechtes Nebelloch sein, spielten wir auch oft Monopoly, wobei ich regelmäßig verlor. Aber ich glaube, das steht hier schon irgendwo.
- Heute schien der Tag eine einzige lange Minute zu sein, so unverrückt stand das Grau über allem. Aber manchmal wurde eine der weißen Blüten im Hinterhofgärtchen bewegt.
12.4.2202
In ein paar der Nachmittage jener Zeit, die mir im Nachdenken als eine noch behaglich-unaufgeregte in den Erinnerungen erscheint, worin auch dieses beruhigende adoleszente Gefühl des Zuhause- und Beisichseins, mit seinem sanft und lang schwingenden, doch unhörbaren Grundton, der noch, gerade im Erinnern, durch die Körperzellen summt, seine Wirkungen tut, saß ich mit meinem Jugendfreund Helmut im Eßzimmer seines elterlichen Hauses, im ersten Stock, aus dem der Blick über den sanft abfallenden Garten – in dem der Unfall mit dem Ast geschehen war – zum älteren Haus ging, nach Süden, Richtung Stadtmitte, von der freilich nichts zu sehen war, wo wir uns die Zeit nach der Erledigung der Hausaufgaben mit einem Kartenspiel vertrieben, in dem man auf gewisse Weise, an die ich mich nicht mehr entsinne, verschiedene Flugzeugtypen, vor allem Jetflugzeuge, zusammen bekommen mußte, um eine Runde des Spiels gewonnen zu haben. Und Starfighter waren auf diesen Karten auch abgebildet. An solchen Nachmittagen in der Mitte der sechziger Jahre, nicht nur an grauen Tagen, von denen Biberach reichlich hatte, und in den Herbsten konnte die Stadt ein rechtes Nebelloch sein, spielten wir auch oft Monopoly, wobei ich regelmäßig verlor. Aber ich glaube, das steht hier schon irgendwo.
- Heute schien der Tag eine einzige lange Minute zu sein, so unverrückt stand das Grau über allem. Aber manchmal wurde eine der weißen Blüten im Hinterhofgärtchen bewegt.
12.4.2202
12.04.