4.4.2002
Was hat man auf dieser Erde zu suchen? Was soll man finden? Zwei Fragen, die womöglich schon in den noch nicht sehr stark gefalteten Hirnwindungen von homo australiensis und homo neandertaliensis herumkrochen; beide bekanntlich keine direkten Vorläufer – sozusagen, um die natürlich-sportliche Bedeutung des Worts mit seiner im technischen Zeitalter gebräuchlichen Verwendung, z.B. im Automobilbau, zusammenzulegen und dadurch die großzeitliche evolutionäre Bewegung Richtung Fortschritt zu vergegenwärtigen – des homo sapiens sapiens, der dann, nicht nur zweimal, sondern seit seiner Geburt als Gattungswesen, ständig diese Gedanken mit sich spazieren führte; wenigstens manchmal. Zwei Fragen, die auch im künftigen Zeitalter der Menschenmaschinen und Maschinenmenschen, in dessen Morgenröte wir stünden, wie uns nicht nur SF-Schreiber, sondern ernst genommene Autoren zu Beginn dieses 21. Jahrhunderts A.D. einflüstern (wollen). Homo a. und homo n. hatten sich auf sie – was zu suchen und zu finden wäre – bestimmt konkretere Antworten geben können als jenes Wesen, das nach dem Willen eines höchsten schließlich den Planeten mit seiner multiplen Anwesenheit befruchtete und die Früchte des Planeten zu rauben begann, fast ganz am Anfang schon, was irgendwann im Diluvium zur Folge hatte, daß jener Garten dichtgemacht wurde, weil es dem Eigentümer mißfallen hatte, wie respektlos homo sapiens mit den Äpfeln umgangen war. Von da an ging’s bergab.
Am Ende des sechziger Jahre des hinter uns gut überschaubaren saeculums passé – saeculum adé !; das Witzeln ausgerechnet an dieser Stelle unterlassen zu sollen fiele mir besonders schwer – hatte dieses Vanitas-Problem mich erreicht. Als junger Mann begann ich wie ein alter zu denken: „Hat eh keinen Sinn“; dieser hübsche und bequem zu denkende Satz richtete sich’s bei mir auf Dauer ein und war auch dann zuhause, wenn ich annahm, er sei mal ausgegangen. Das frühe Wissen also um die Vergänglichkeit – ergo Vergeblichkeit – aller Bemühungen um so etwas objektiv Undefinierbares wie Glück und Seelenfortschritt enthob mich, philosophisch abgestützt, denn nicht lange dauerte es, und ich begann die Stoiker zu lesen, allzu anstrengender Versuche um diese Bemühungen. (Vergänglichkeit und Vergeblichkeit so eng aneinander zu hängen bewiese allerdings nur, daß ich philosophisch abgestürzt wäre? Dieser Verdacht war da.) Nun, um’s kurz zu machen: Die Welt gefiel mir nicht; insgesamt, nicht nur die bürgerliche. Diese pubertäre Schmerzempfindlichkeit ließ sich nie ganz betäuben, auch nicht mit Alkohol. Andere benützen Sex dazu, ich hatte dafür kein Talent. Dazu später. Warum war alles kompliziert? Ich verfiel dennoch nicht der Sehnsucht nach dem einfachen Leben. Rückzug aus der urbanen Zivilisation – mit ihren Mängeln en gros et en detail – war mir niemals eine Frage. Mir war ja Biberach an der Riß schon zu ländlich und kleinparzellig! Wer schätzt nicht die fein gesponnenen Verflechtungen der materiellen Welt? Und diese Art von Kompliziertheit – wie kommt mein Wasser aus dem Hahn und warum ist es heiß? – meint man ja nicht, wenn einem die Welt über’n Kopp wächst, solche Zusammenhänge sind aber die Voraussetzung dafür, daß man dem Aufdröseln der Immaterialität der verwirrenden Gedanken- und Gefühlsstrukturen etwas mehr Zeit widmen kann; und daß man sich die Hände nicht nur mit Unschuld waschen kann, wenn dabei etwas falsch auseinander genommen oder zusammengefügt wurde, was hin und wieder diverse fatale causae gebiert. Hippie war ich nie; trotz langer Haare, flower power interessierte mich nicht, und „make peace not war“ korrespondierte schlecht mit Klassenkampftheorien.
„Seelenfortschritt“ ist ein Wort, das ich vor dreißig Jahren niemals in die Gedanken genommen hätte. Bewußtseinsfortschritt, das gab es oder eben auch nicht. Eher nicht. Seelenfortschritt wäre ein mystifizierender Begriff gewesen, der allein deshalb schon so nebelhaft gewabert wäre, weil der Mensch keine Seele hatte, sondern nur eine Psyche mit Bewußtsein. (Vor ihrer mystischen Verwandlung hatte die antik-mythologische Nymphe aber noch Seele gehabt? Hieße das, mit Hilfe mystischer Sprüche erhielte man Geist, Bewußtsein; würde man zum Geistwesen? Manch marxistische Exegese hatte (beim Zeus!) quasimystische Qualitäten und blieb so manchem AK-Teilnehmer für immer Hekuba, aber Gadamer ist tot und ich will nicht zu sehr ins Hermeneutische.) Alles mit Seele war vorbei und untersagt. Schlicht unmodern, denn auch außerhalb neomarxistischer Zirkel war das Wort nicht gebräuchlich; außerhalb von Kirchen, kirchlichen und George-Kreisen, wobei die letzteren, die ihren eigenen Messias gehabt hatten, als nicht mehr sehr à la mode galten, denn auch die Germanistik war fast links geworden. Ich bin wohl genötigt, diesen Begriff, der mir so leicht eingefallen ist, mir selbst zu erhellen. Das mach‘ ich morgen.
- Langweilig schöner sonniger Tag. Etwas kühler, auch wegen des Windes.
4.4.2002
Am Ende des sechziger Jahre des hinter uns gut überschaubaren saeculums passé – saeculum adé !; das Witzeln ausgerechnet an dieser Stelle unterlassen zu sollen fiele mir besonders schwer – hatte dieses Vanitas-Problem mich erreicht. Als junger Mann begann ich wie ein alter zu denken: „Hat eh keinen Sinn“; dieser hübsche und bequem zu denkende Satz richtete sich’s bei mir auf Dauer ein und war auch dann zuhause, wenn ich annahm, er sei mal ausgegangen. Das frühe Wissen also um die Vergänglichkeit – ergo Vergeblichkeit – aller Bemühungen um so etwas objektiv Undefinierbares wie Glück und Seelenfortschritt enthob mich, philosophisch abgestützt, denn nicht lange dauerte es, und ich begann die Stoiker zu lesen, allzu anstrengender Versuche um diese Bemühungen. (Vergänglichkeit und Vergeblichkeit so eng aneinander zu hängen bewiese allerdings nur, daß ich philosophisch abgestürzt wäre? Dieser Verdacht war da.) Nun, um’s kurz zu machen: Die Welt gefiel mir nicht; insgesamt, nicht nur die bürgerliche. Diese pubertäre Schmerzempfindlichkeit ließ sich nie ganz betäuben, auch nicht mit Alkohol. Andere benützen Sex dazu, ich hatte dafür kein Talent. Dazu später. Warum war alles kompliziert? Ich verfiel dennoch nicht der Sehnsucht nach dem einfachen Leben. Rückzug aus der urbanen Zivilisation – mit ihren Mängeln en gros et en detail – war mir niemals eine Frage. Mir war ja Biberach an der Riß schon zu ländlich und kleinparzellig! Wer schätzt nicht die fein gesponnenen Verflechtungen der materiellen Welt? Und diese Art von Kompliziertheit – wie kommt mein Wasser aus dem Hahn und warum ist es heiß? – meint man ja nicht, wenn einem die Welt über’n Kopp wächst, solche Zusammenhänge sind aber die Voraussetzung dafür, daß man dem Aufdröseln der Immaterialität der verwirrenden Gedanken- und Gefühlsstrukturen etwas mehr Zeit widmen kann; und daß man sich die Hände nicht nur mit Unschuld waschen kann, wenn dabei etwas falsch auseinander genommen oder zusammengefügt wurde, was hin und wieder diverse fatale causae gebiert. Hippie war ich nie; trotz langer Haare, flower power interessierte mich nicht, und „make peace not war“ korrespondierte schlecht mit Klassenkampftheorien.
„Seelenfortschritt“ ist ein Wort, das ich vor dreißig Jahren niemals in die Gedanken genommen hätte. Bewußtseinsfortschritt, das gab es oder eben auch nicht. Eher nicht. Seelenfortschritt wäre ein mystifizierender Begriff gewesen, der allein deshalb schon so nebelhaft gewabert wäre, weil der Mensch keine Seele hatte, sondern nur eine Psyche mit Bewußtsein. (Vor ihrer mystischen Verwandlung hatte die antik-mythologische Nymphe aber noch Seele gehabt? Hieße das, mit Hilfe mystischer Sprüche erhielte man Geist, Bewußtsein; würde man zum Geistwesen? Manch marxistische Exegese hatte (beim Zeus!) quasimystische Qualitäten und blieb so manchem AK-Teilnehmer für immer Hekuba, aber Gadamer ist tot und ich will nicht zu sehr ins Hermeneutische.) Alles mit Seele war vorbei und untersagt. Schlicht unmodern, denn auch außerhalb neomarxistischer Zirkel war das Wort nicht gebräuchlich; außerhalb von Kirchen, kirchlichen und George-Kreisen, wobei die letzteren, die ihren eigenen Messias gehabt hatten, als nicht mehr sehr à la mode galten, denn auch die Germanistik war fast links geworden. Ich bin wohl genötigt, diesen Begriff, der mir so leicht eingefallen ist, mir selbst zu erhellen. Das mach‘ ich morgen.
- Langweilig schöner sonniger Tag. Etwas kühler, auch wegen des Windes.
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