28.3.2002
Im März 1972 bekam ich über Nacht einen Hautausschlag; am linken oder am rechten Ohr? In meiner Kindheit, zu der das Jahr 1972 wahrscheinlich nicht mehr gehörte, in den Jahren, in denen das kleine Zimmer das Wohnzimmer gewesen war, hatte ich eine Zeitlang an Psoriasis, Schuppenflechte, gelitten, hatte mit Salbe bestrichene Umschläge am linken Unterschenkel erhalten; noch heute sieht man diese längliche Stelle, an ihr ist die Haut all die Zeit über immer weißlich und trockener als sonst und normal geblieben, nach der Abheilung. Ich habe aber auch eine andere, noch diffusere, zufasertere Erinnerung aus jener Zeit: war, im kleinen Zimmer, nicht eines Tages oder Abends dieses Heizgerät, das „Höhensonne“ genannt wurde (wurde es so genannt, bildete die „Sonne“ nicht ein mit einem anderen Wort zusammengesetztes Substantiv?), ein hohlspiegelähnliches Leichtmetallgebilde mit einer aus der Mitte herausragenden Heizspirale, die rot erglühte, wenn sie die volle Wärme spendete, gegen mein Bein gefallen? Und war dieser häusliche Unfall womöglich die Ursache der Bandagen und Umschläge? Vielleicht bilde ich mir aber den Vorfall mit dem Heizgerät nur ein. Ich favorisierte immer die Erinnerung – selbst wenn sie eine künstliche sein sollte, und warum sollte sie dann eine solche sein? – an die Schuppenflechte, denn sie unterstützt meine psychologischen Selbstdeutungen plausibler, die, in diesem Vorfall, oder Fall, sich darauf beziehen, daß die Psoriasis, die in den meisten Fällen erwiesenermaßen vor allem eine psychosomatische Genese hat, nach der Bedrohung meiner Mutter durch meinen Erzeuger aufgetreten sein könnte. Könnte – den zeitlichen Zusammenhang eruierte ich nie. Viel Zeit war vergangen, als ich an die Möglichkeit des Zusammenspiels dieser Ursache mit einer solchen Wirkung zum ersten Mal dachte; irgendwann zu Anfang der achtziger Jahre. Im März 1972 stellte ich also, an einem nächsten Morgen, diesen Ausschlag am Ohr fest. Er juckte, aber nicht sehr heftig, war rot, überzog das Ohrläppchen, das auch angeschwollen war. Ein Insektenstich konnte es nicht gewesen sein; wie auch Dr. N., der Hautarzt am Marktplatz, nach zwei Tagen diagnostizierte, denn erst dann ging ich hin. Er war ein wenig ratlos, konnte eine genaue Aussage nicht machen. Eine Allergie? Er verschrieb eine Salbe, die schmierte ich eine Woche lang auf’s Ohr, dann bemerkte ich eine kleine Veränderung zum Besseren. Ich ging wieder zum Arzt, der besah sich das Ohr, verordnete weiteres Einsalben. Dann verschwand das Ekzem. Es kehrte nie zurück. Es war eine Allergie gewesen, eine psychogenerierte. Diese Diagnose stellte ich mir selber, weil der Arzt dazu nicht in der Lage gewesen war. Mir stand nämlich zum 5. April 1972 ein gewisser Termin bevor: der Tag, an dem ich die Bundeswehr kennen lernen sollte.
Mein Antrag auf Kriegsdienstverweigerung, am 10. Oktober 1969 gestellt, war von „Prüfungsausschuß“ und „Prüfungskammer“, beide beim Kreiswehrersatzamt Ravensburg ansässig, abgelehnt worden. (Im Abstand von einem dreiviertel Jahr war ich in die zweite oberschwäbische, näher am Bodensee gelegene Stadt von regionaler Bedeutung gefahren, um meine Gewissensentscheidung prüfen zu lassen. Das war damals noch so. Den Kriegsdienst mit der Waffe zu verweigern war 1969 bis 1972 noch keineswegs so geläufig unter den jungen Männer wie in den Jahrzehnten danach, und einfach ein Kärtchen abschicken, damit war’s auch nicht getan. Drei Herren saßen in einem dusteren Zimmer an einem breiten Tisch vor mir, ich vor dem Tisch vor ihnen, im Jackett und mit schon langen Haaren. Einer der Herren, der „Vorsitzende“, übrigens beider Erkundungskommissionen, ein fetter, großer Typ, führte das Wort, die beiden anderen hatten nichts zu sagen. Einer der „Beisitzer“ las beim ersten Mal gemütlich seine Zeitung, während ich meine Gründe vortrug, der andere hockte gelangweilt daneben. Die anderen Adjutanten des Dicken bei der zweiten „Anhörung“ verhielten sich nicht viel anders; pro forma eine Frage gestellt, um die Berechtigung ihrer Anwesenheit zu beweisen, damit hatte es sich. Eine reelle Chance, von diesen Herrschaften ein Gewissen, das sich, staatsgefährdend, sogar bis zum Tötungsverbot – das immerhin unter den Sollvorschriften des Heiligen Buches, das in einer traditionell stockkatholischen Gegend wenigstens an gewissen Tagen zitiert wird, aufzufinden ist – erstrecken könnte, attestiert zu bekommen, wäre nur dann gegeben gewesen, wenn der Antragsteller – hübsche Idee des säkularen Gesetzgebers, ein Gewissen auf Antrag bescheinigt zu bekommen, eventuell – religiöse Aktivitäten aufzuweisen gehabt hätte, natürlich vom Pater sozusagen beglaubigt. Der Antrag, lästiger Wisch, war vom Tisch gewischt worden. Ich würde aus politischen, nicht aus Gewissensgründen verweigern. So wurde aufgeschrieben und für gültig erklärt, en passant, daß Politik und Gewissen nichts miteinander zu tun haben, und das war ja ein brauchbares Zugeständnis, an einen linksradikalen Schüler ... , jedenfalls in den Zeiten des Vietnamkrieges. Mit kalter Wut im Bauch und noch mehr davon im Kopf war ich im Zug nach Biberach zurückgefahren, die Formulierung der Klage gegen diesen tollen Staat schon im Kopf.) Diese Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch den Bundesminister für Verteidigung, Bonn, dieser vertreten durch die Wehrbereichsverwaltung V, Stuttgart, etc., war Ende März 1972 anhängig, aber nicht verhandelt worden; zu viele Verfahren beim Verwaltungsgericht Sigmaringen vor meinem. Der Ohrausschlag war eine körperliche Reaktion auf diesen inneren Konflikt, der Einberufung nicht Folge leisten zu wollen und doch, bei Androhung diverser Strafen, inklusive zivil-rechtlicher, zu sollen, gewesen. Am 5. April rückte ich ein.
- Vom Morgen bis zum Abend Sonnenwetter. Milder als gestern.
28.3.2002
Mein Antrag auf Kriegsdienstverweigerung, am 10. Oktober 1969 gestellt, war von „Prüfungsausschuß“ und „Prüfungskammer“, beide beim Kreiswehrersatzamt Ravensburg ansässig, abgelehnt worden. (Im Abstand von einem dreiviertel Jahr war ich in die zweite oberschwäbische, näher am Bodensee gelegene Stadt von regionaler Bedeutung gefahren, um meine Gewissensentscheidung prüfen zu lassen. Das war damals noch so. Den Kriegsdienst mit der Waffe zu verweigern war 1969 bis 1972 noch keineswegs so geläufig unter den jungen Männer wie in den Jahrzehnten danach, und einfach ein Kärtchen abschicken, damit war’s auch nicht getan. Drei Herren saßen in einem dusteren Zimmer an einem breiten Tisch vor mir, ich vor dem Tisch vor ihnen, im Jackett und mit schon langen Haaren. Einer der Herren, der „Vorsitzende“, übrigens beider Erkundungskommissionen, ein fetter, großer Typ, führte das Wort, die beiden anderen hatten nichts zu sagen. Einer der „Beisitzer“ las beim ersten Mal gemütlich seine Zeitung, während ich meine Gründe vortrug, der andere hockte gelangweilt daneben. Die anderen Adjutanten des Dicken bei der zweiten „Anhörung“ verhielten sich nicht viel anders; pro forma eine Frage gestellt, um die Berechtigung ihrer Anwesenheit zu beweisen, damit hatte es sich. Eine reelle Chance, von diesen Herrschaften ein Gewissen, das sich, staatsgefährdend, sogar bis zum Tötungsverbot – das immerhin unter den Sollvorschriften des Heiligen Buches, das in einer traditionell stockkatholischen Gegend wenigstens an gewissen Tagen zitiert wird, aufzufinden ist – erstrecken könnte, attestiert zu bekommen, wäre nur dann gegeben gewesen, wenn der Antragsteller – hübsche Idee des säkularen Gesetzgebers, ein Gewissen auf Antrag bescheinigt zu bekommen, eventuell – religiöse Aktivitäten aufzuweisen gehabt hätte, natürlich vom Pater sozusagen beglaubigt. Der Antrag, lästiger Wisch, war vom Tisch gewischt worden. Ich würde aus politischen, nicht aus Gewissensgründen verweigern. So wurde aufgeschrieben und für gültig erklärt, en passant, daß Politik und Gewissen nichts miteinander zu tun haben, und das war ja ein brauchbares Zugeständnis, an einen linksradikalen Schüler ... , jedenfalls in den Zeiten des Vietnamkrieges. Mit kalter Wut im Bauch und noch mehr davon im Kopf war ich im Zug nach Biberach zurückgefahren, die Formulierung der Klage gegen diesen tollen Staat schon im Kopf.) Diese Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch den Bundesminister für Verteidigung, Bonn, dieser vertreten durch die Wehrbereichsverwaltung V, Stuttgart, etc., war Ende März 1972 anhängig, aber nicht verhandelt worden; zu viele Verfahren beim Verwaltungsgericht Sigmaringen vor meinem. Der Ohrausschlag war eine körperliche Reaktion auf diesen inneren Konflikt, der Einberufung nicht Folge leisten zu wollen und doch, bei Androhung diverser Strafen, inklusive zivil-rechtlicher, zu sollen, gewesen. Am 5. April rückte ich ein.
- Vom Morgen bis zum Abend Sonnenwetter. Milder als gestern.
28.3.2002
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