24
Mrz

24.3.2002

Nein, einer der beiden großen Tische stand nicht in der Küche (dort stand ein dritter, kleinerer); er stand im kleinen Zimmer. Das sehe ich nun, wenn ich vom Schreibtischstuhl in der Brunnenstraße in Berlin aus das kleine Zimmer betrete, am nächsten Tag, am Abend ..., nein, am Nachmittag zu der Stunde, in der der Schneeschauer aus wäßrigen Flocken den Tag vor den Minuten der einsetzenden Zwischenzeit, die Tag und Abend auf feinste Weise voneinander scheidet, schon dunkler macht; ich aber schalte das Licht der Deckenlampe (ein dreiarmiges Holzgestell trägt drei bauchige geriffelte Gläser bräunlicher Farbe) nicht ein, jetzt, wenn ich in dieses in einem Geheimnis liegende Zimmer hineingehe, um das Taschenbuch, das ich leer gelesen habe, in den unansehnlichen braunen Bücherschrank, der zwei Glastüren und einige Regale, nicht sehr tiefe, hat, auf denen Taschen- und andere Bücher lagern, zu stellen. Im Zimmer ist es dämmrig. Kaum ein Autogeräusch dringt von der Straße herein. Im Zimmer liegen und stehen all diese Dinge unordentlich auf dem großen Tisch und um ihn herum; auch auf dem breiten massigen Büfett – ein Schrank ist dieses Möbel, dem vielleicht ein Aufbau fehlt, nicht – aus hellem Holz, das an der Wand vor dem Westfenster, an der, die auf der anderen Seite die der Coach ist, steht, liegen Dinge; zwei Stühle, die zu denen, die am Tisch im Wohnzimmer gehören, stehen an diesen Tisch hier eng herangerückt – oder ist es nur einer?; und ich erkenne jetzt nicht, in der Brunnenstraße (oder ist die Ursache dafür der Dämmer, der von draußen auch durch das Fenster nach Norden hereinschwebt?), welche anderen Möbel in diesem Raum sind. In der Zimmerecke links, von der Tür vom Flur, und auch links von der Tür, die sich, auf dieser Seite nicht von einem Vorhang verborgen, hinüber zum Wohnzimmer öffnet – nein: von diesem dort in dieses Zimmer hier hinein nur geöffnet werden kann, etwa gleich weit entfernt, steht ein Kohleofen. Er ist kleiner als der im Zimmer nebenan, älter. Wie dort, um dies nachzutragen, biegt auch von diesem Ofen sich, dreißig Zentimeter hinter ihm, das silbrige Rohr, das nach oben in einer Geraden verläuft, bis es, wieder gebogen, von einer metallenen Manschette umschlossen, im Kamin verschwindet. Ungewaschene Vorhänge, gröbere Stores als die im Wohnzimmer, baumeln, außer Form geraten, vor den Fenstern. Was für Dinge liegen hier herum? „Ich sehe alles so undeutlich“, höre ich mein Flüstern, „ich erkenne die Dinge nicht mehr, sehe nur, daß diese Gegenstände Dinge sind, kleine, größere ... eine Vase ... alte Pralinenschachteln ... Bücher, die nicht im Schrank stehen ... unwichtige Bücher ... eine Rolle Bindfaden ... Papier, Zeitungspapier ... sind das Regale, diese länglichen Dinge, diese Bretter, die an der Wand lehnen? ... Krimskrams, dessen Einzelheiten ich noch weniger feststellen kann ...; all der Kram und Kruscht, der es nicht bis auf den Dachboden schaffte; ich weiß es nicht mehr.“ Ich sehe ein Gesicht schimmern, hinter dem mit Dingen, die ihre Konturen nun von Sekunde zu Sekunde stärker verlieren, belegten Tisch, ein Gesicht ... Ich drehe mich um, verlasse das Zimmer.
- Feucht und kalt (kann ich aber nur annehmen, denn ich bin nicht aus dem Zimmer gegangen); trübsinng die Stimmung vor den Fenstern, bis zur Verdunkelung. Ich hörte keinen Regen.
24.3.2002
Klaus-Dieter Diedrich (1951-2006): "Die Biberacher Zeit"

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