2
Feb

2.2.2002

Das samstägliche Gepolter und vergnügte Gehüpfe der Kinder in der Wohnung über der, die ich gemietet habe, bringt mir etwas in den Sinn, das Frau H. mir erst im vergangenen Jahr 2001 während eines Besuchs bei ihr auflachend wieder sagte: „Ihr hend so tobt, daß die Frau Wieland in der unteren Wohnung zu deiner Mutter gesagt hat, wenn die Kinder da sind, wackeln bei mir die Kronleuchter, und als deine Mutter das dann euch g‘sagt hat, habt ihr noch viel wilder herumg‘hüpft und herumg‘stampft.“ Mit „ihr“ waren ihre drei Kinder und ich gemeint, die wir, im Alter von vier, fünf, sechs Jahren (auch früher, auch später), oft zusammen spielten. Von der bedauernswerten Frau W. – wer weiß, vielleicht war sie ja über fünf Ecken mit dem Biberacher Dichter Christoph Martin Wieland verwandt – habe ich kein Bild im Kopf; ich habe aber ein Foto, auf dem ich neben dem Pudel von Frau W. im Gras des Gartens, pausbäckig, fünf Jahre alt, eher jünger, sitze; der Pudel, sitzend, neben mir ist so groß wie ich. Ist es ein Pudel, war der Hund ein Pudel? Ich müßte jetzt das Foto hervorkramen, um die Möglichkeit, daß er ein Spaniel war, auszuschließen. Meine Mutter hatte in meiner Kindheit manchmal von dem „schönen“ Hund gesprochen, der in ihrer Kindheit in Schlesien auf dem Hof war und der, nachdem er sich schlimm verletzt hatte – nein, aus Unachtsamkeit bei Feldarbeiten verletzt wurde, erschossen werden mußte, und sie erzählte, wie traurig sie gewesen sei. Vielleicht war dieser Hund ein Spaniel gewesen, denn wieso fällt mir nun diese Hunderasse sofort ein, wo ich mich in ihnen überhaupt nicht gut auskenne? (Einen Dackel erkennt man freilich immer – auch in menschlicher Gestalt.) Was war jenes Pudels Kern, welche Wahrheit kam in ihm an mich heran? Mephistophelisches? Ich müßte nachdenken, bleibe aber auch hier im Konjunktivischen, weil es bequemer ist. Wollte er, stumm und milde neben mir in eine Zukunft blickend, mir verständlich machen – wenn auch erst nach Jahrzehnten, in jener Zeit, in die er blickte, im Jetzt –, daß ich schon noch selbst erfahren würde, was ich seiner Herrin antat? Müßte ein kluger Hund gewesen sein.
- Sehr sonniger, fast frühlingshafter 2. Februar. Vor den Cafés saßen Leute. Schöne Abendrotwolken.
2.2.2002 (!)
Klaus-Dieter Diedrich (1951-2006): "Die Biberacher Zeit"

Suche

 

Kürzlich kommentiert

Ein wichtiges Projekt!
Als Biberacher, der K.D. kannte und als bekennender...
Tadellöser - 20. Dez, 13:02

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Statistisches & Linksphäre

Linksphäre:
Wer linkt hierher?

Besucherzahl:

Besucher-Statistik

Credits

Status

Online seit 6766 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 20. Dez, 13:02

biographie
galerie
impressum und (c)
projekt-info
widmung
KD
prolog
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren