19.1.2002
Ich las in jenen sechziger Jahren viel Schund; Unmengen von Western- und Science Fiction-Heftromanen, auch Taschenbücher dieser Trivialgenres, die selbst für einen Schüler mit wenig Taschengeld erschwinglich waren. Das Geld war bei uns immer knapp, obwohl meine Mutter länger als ein Jahr-zehnt arbeitete – in Biberach, und als junge Frau in Schlesien vier Jahre bei der Reichsbahn –, denn mein Erzeuger hielt es nicht für nötig, uns mehr Unterstützung zu zahlen. Noch heute habe ich zwei volle Kisten mit diesen Erzeugnissen der Unterhaltungsschreiberei im Keller stehen, die ich bei jedem Umzug mitschleppen lasse. Seit ich denken kann – wer kann das schon so einfach von sich behaupten? – las ich, und seit ich las, begann ich irgendwann zu denken; das soll auch bei anderen so gewesen sein. Aber ich vermag mich überhaupt nicht mehr daran zu erinnern, in welchem Kinderalter ich textgierig geworden war.
Meine Mutter hatte in jener Zeit ab und zu noch zu einem Buch gegriffen, nicht nur zur Bibel, war aber oft zu erschöpft, und nicht nur wegen der Verkäuferinnenarbeit, eher von den seelisch-psychischen Bedrückungen, die, und ich kannte sie nicht anders, mal stärker, mal nicht so lastend, sie beschwerten. Mein Erzeuger war ein amusischer, nichtintellektueller Mann (soviel ich überhaupt von ihm wußte und weiß), ein Techniker, der konstruierte; meine intellektuelle Konstitution stammt von meiner Mutter. Nun ja, der andere Erbteil hat wohl auch etwas dazu beigetragen. Sowieso wurde ich nur von meiner christlich-moralischen Mutter erzogen und geprägt und überhaupt nicht von meinem Vater (das Wort kann ja mal erscheinen), einfach deshalb, weil mein Erzeuger nur ein Jemand war, den ich als Junge einmal im Monat, und später, in den Siebzigern, nur selten noch traf. Ich hatte nie das Bedürfnis nach einem Vater gehabt, es war mir äußerst angenehm, daß dieser mir eigentlich fremde Mensch, der mir gleichgültig war, nicht anwesend war. Ich brauchte keinen Vater; ich hatte ihn nie vermißt. Im Gegenteil, sein ständiges Vorhandensein, wäre die Familie – die sie ja war, denn obwohl meine Eltern seit meiner Geburt, jedenfalls kurz danach, getrennt lebten, waren sie nicht geschieden – zusammen gewesen, wäre mir unerträglich geworden. (Freilich sah ich das so, weil ich mir eine andere Konstellation nicht vorstellen konnte, ich hatte eben nicht die Gelegenheit gehabt, etwas anderes kennen zu lernen, und würde auch anders darüber urteilen. Ich selbst wäre dann aber ein ganz anderer, soviel steht fest, und das wäre ja auch nicht so toll.) Der Vater war nicht da, das bedeutete Freiheiten. Ich wußte das früh. Viele Jahre lebten meine Mutter und ich in einer harmonischen Mutter-Sohn-Situation; die gegenseitige Bindung war immer stark; als ich dann Mitte zwanzig war, als ich dreißig war, war diese psycho-logische Lage, mir seit langem klar, zum Problem geworden. Es wurde eine traurige Zeit.
- Ein Wetter wie gestern, nur ohne Schneeflocken und mit sehr wenig Regen. Milder.
19.1.2002
Meine Mutter hatte in jener Zeit ab und zu noch zu einem Buch gegriffen, nicht nur zur Bibel, war aber oft zu erschöpft, und nicht nur wegen der Verkäuferinnenarbeit, eher von den seelisch-psychischen Bedrückungen, die, und ich kannte sie nicht anders, mal stärker, mal nicht so lastend, sie beschwerten. Mein Erzeuger war ein amusischer, nichtintellektueller Mann (soviel ich überhaupt von ihm wußte und weiß), ein Techniker, der konstruierte; meine intellektuelle Konstitution stammt von meiner Mutter. Nun ja, der andere Erbteil hat wohl auch etwas dazu beigetragen. Sowieso wurde ich nur von meiner christlich-moralischen Mutter erzogen und geprägt und überhaupt nicht von meinem Vater (das Wort kann ja mal erscheinen), einfach deshalb, weil mein Erzeuger nur ein Jemand war, den ich als Junge einmal im Monat, und später, in den Siebzigern, nur selten noch traf. Ich hatte nie das Bedürfnis nach einem Vater gehabt, es war mir äußerst angenehm, daß dieser mir eigentlich fremde Mensch, der mir gleichgültig war, nicht anwesend war. Ich brauchte keinen Vater; ich hatte ihn nie vermißt. Im Gegenteil, sein ständiges Vorhandensein, wäre die Familie – die sie ja war, denn obwohl meine Eltern seit meiner Geburt, jedenfalls kurz danach, getrennt lebten, waren sie nicht geschieden – zusammen gewesen, wäre mir unerträglich geworden. (Freilich sah ich das so, weil ich mir eine andere Konstellation nicht vorstellen konnte, ich hatte eben nicht die Gelegenheit gehabt, etwas anderes kennen zu lernen, und würde auch anders darüber urteilen. Ich selbst wäre dann aber ein ganz anderer, soviel steht fest, und das wäre ja auch nicht so toll.) Der Vater war nicht da, das bedeutete Freiheiten. Ich wußte das früh. Viele Jahre lebten meine Mutter und ich in einer harmonischen Mutter-Sohn-Situation; die gegenseitige Bindung war immer stark; als ich dann Mitte zwanzig war, als ich dreißig war, war diese psycho-logische Lage, mir seit langem klar, zum Problem geworden. Es wurde eine traurige Zeit.
- Ein Wetter wie gestern, nur ohne Schneeflocken und mit sehr wenig Regen. Milder.
19.1.2002
19.01.