7.1.2002
Für den gedrungenen Wohnzimmerofen, an dessen Vorderseite zwischen Einfüllöffnung und Ascheschiebertürchen sich eine feuerfeste Glasscheibe befand, durch die die brennenden Kohlen beobachtet werden konnten, benötigte man hin und wieder doch etwas Brennholz, wenn das Feuer wegen nicht oder auch einmal zu spät erfolgten Nachschubs erloschen oder in solch kümmerlichem Zustand war, daß es etwas Unterstützung brauchte. Hauptsächlich der emaillierte schmale Kohleofen in der Küche, ein damals schon nicht mehr sehr neues Modell, war ohne etwas Brennholz, das auf zusammengeknülltes Papier gelegt wurde, und auf den Holzscheiten lagen zwei oder drei Briketts, nicht in Gang zu bekommen. Das Brennholz lagerte in einer äußersten Ecke unter der Dachschräge, an der östlichen Hauswand, und diese Ecke war durch eine Stützbalkenkonstruktion so „abgeschirmt“, daß man nur vornüber geneigt unter den Dachplatten ein wenig um sie herumschleichen konnte, um ebenso gebückt die Holzscheite in einen alten Korb einzufüllen. Einmal in der Woche holte ich von dort oben Holz.
Der größte Teil des Dachbodens war mit dort deponierten Körben und Kartons beider Mietparteien belegt, ein ovales Seitenfenster gestattete einen Blick nach Norden an den ansteigenden Hang des Lindelebergs und einen Teil der Straße. Für Jahre lag auf einer Stelle des Holzbodens eine dieser gelblich-orangefarbenen Ölhäute (keine Jacke!), weil über ihr einmal über einige Zeit das Dach undicht gewesen war und der Regen an der Decke jenes Zimmers, das mein Refugium war, Feuchtigkeitsflecken hervorgerufen hatte. Den südlichen Teil des Dachgeschosses nimmt eine Mansarde ein; die hochbogigen Fenster des Wohnraums boten – und bieten – einen sehr schönen Überblick hin zum Gigelberg und zum hochgelegenen östlichen Stadtteil „Talfeld“; trat ich nahe an sie heran und wanderte der Blick nach links, sah ich die Häuser dort. Zur Mansarde gehörte, vom kleinen Flur, der zum Dachboden führte, getrennt, ein Waschraum mit einem der hohen Fenster. Diese Mansarde wurde, in den Frühjahren und Herbsten, bis zum Ende der sechziger Jahre für jeweils ein paar Tage vom schon alten Eigentümer, dem Schiffsmakler Wilhelm S., der sich Guglièlmo S. nannte, weil er seit Jahrzehnten in Palermo lebte, bewohnt, wenn er nach Biberach kam, um das Grab seiner Frau zu besuchen und sein Haus, seine Mansarde, als Stützpunkt für seine Jagdausflüge im Bayerischen zu benützen. In manchen Jahren kam er nur einmal. Er war ein sehr großer, knorriger Mann mit Charakterkopf, brummig, aber meiner Mutter und mir auf versteckte Weise wohlgesonnen, obwohl er, als meine Mutter ihn einmal auf das schadhafte Dach und die Folgen für unsere Wohnqualität aufmerksam gemacht hatte, nur unwirsch entgegnet hatte, in Palermo regne es in den Königspalast, womit das Thema für ihn erledigt war. (Ein anderes Mal, aus irgendeinem Anlaß, sagte er, und nur das blieb mir im Gedächtnis: „In Palermo schlafe ich mit dem Revolver unter dem Kopfkissen!“ Das hinterließ natürlich seinen Eindruck bei mir.) Er ließ am Haus nichts ausbessern, dafür erhöhte er nur einmal die ohnehin nicht sehr hohe Miete. Wenn er sich angekündigt hatte, wußte ich, daß ich ihm wieder den Tee in seinen Raum hinaufbringen würde. Er legte Wert auf richtig aufgegossenen schwarzen Tee, nicht zu lange gezogen. Wenn er dann, zwei großkalibrige Schrotflinten baumelten von den Schultern, mit schweren Schritten die Treppe heraufstapfte und sich bei uns meldete – manchmal empfing ich ihn, weil meine Mutter arbeitete – und dann auf der zweiten Treppe zur Mansarde weiterstieg, war er für mich immer eine imposante Gestalt gewesen. Als er sich, schon fast neunzigjährig, zum letzten Mal von uns verabschiedete (er wußte, daß es das letzte Mal war), sagte er meiner Mutter, wir könnten uns aus seinen Räumen (die Schlüssel hatten wir, und nur zu uns hatte er im Haus, auf seine scheinbar grimmige Art, so etwas wie eine herrschaftlich-freundliche Aufmerksamkeit) alles holen, was wir wollten, nach seinem Tod. Von seinen Erben hielt er, wie er sich äußerte, nicht viel, was sich auch daran zeigte, daß er das Haus der Stadt Biberach vermachte, wie wir schließlich erfuhren. So kam ich zu Beginn der siebziger Jahre in den Besitz einiger alter Möbel; der Schreibtisch, an dem diese Zeilen entstehen, war seiner, der Stuhl, auf dem ich sitze, auch.
- Typisch Berliner Schmuddelnieselwetter; abends hing die Luftfeuchtigkeit wie in Gaswolken zwischen den Straßen.
7.1.2002
Der größte Teil des Dachbodens war mit dort deponierten Körben und Kartons beider Mietparteien belegt, ein ovales Seitenfenster gestattete einen Blick nach Norden an den ansteigenden Hang des Lindelebergs und einen Teil der Straße. Für Jahre lag auf einer Stelle des Holzbodens eine dieser gelblich-orangefarbenen Ölhäute (keine Jacke!), weil über ihr einmal über einige Zeit das Dach undicht gewesen war und der Regen an der Decke jenes Zimmers, das mein Refugium war, Feuchtigkeitsflecken hervorgerufen hatte. Den südlichen Teil des Dachgeschosses nimmt eine Mansarde ein; die hochbogigen Fenster des Wohnraums boten – und bieten – einen sehr schönen Überblick hin zum Gigelberg und zum hochgelegenen östlichen Stadtteil „Talfeld“; trat ich nahe an sie heran und wanderte der Blick nach links, sah ich die Häuser dort. Zur Mansarde gehörte, vom kleinen Flur, der zum Dachboden führte, getrennt, ein Waschraum mit einem der hohen Fenster. Diese Mansarde wurde, in den Frühjahren und Herbsten, bis zum Ende der sechziger Jahre für jeweils ein paar Tage vom schon alten Eigentümer, dem Schiffsmakler Wilhelm S., der sich Guglièlmo S. nannte, weil er seit Jahrzehnten in Palermo lebte, bewohnt, wenn er nach Biberach kam, um das Grab seiner Frau zu besuchen und sein Haus, seine Mansarde, als Stützpunkt für seine Jagdausflüge im Bayerischen zu benützen. In manchen Jahren kam er nur einmal. Er war ein sehr großer, knorriger Mann mit Charakterkopf, brummig, aber meiner Mutter und mir auf versteckte Weise wohlgesonnen, obwohl er, als meine Mutter ihn einmal auf das schadhafte Dach und die Folgen für unsere Wohnqualität aufmerksam gemacht hatte, nur unwirsch entgegnet hatte, in Palermo regne es in den Königspalast, womit das Thema für ihn erledigt war. (Ein anderes Mal, aus irgendeinem Anlaß, sagte er, und nur das blieb mir im Gedächtnis: „In Palermo schlafe ich mit dem Revolver unter dem Kopfkissen!“ Das hinterließ natürlich seinen Eindruck bei mir.) Er ließ am Haus nichts ausbessern, dafür erhöhte er nur einmal die ohnehin nicht sehr hohe Miete. Wenn er sich angekündigt hatte, wußte ich, daß ich ihm wieder den Tee in seinen Raum hinaufbringen würde. Er legte Wert auf richtig aufgegossenen schwarzen Tee, nicht zu lange gezogen. Wenn er dann, zwei großkalibrige Schrotflinten baumelten von den Schultern, mit schweren Schritten die Treppe heraufstapfte und sich bei uns meldete – manchmal empfing ich ihn, weil meine Mutter arbeitete – und dann auf der zweiten Treppe zur Mansarde weiterstieg, war er für mich immer eine imposante Gestalt gewesen. Als er sich, schon fast neunzigjährig, zum letzten Mal von uns verabschiedete (er wußte, daß es das letzte Mal war), sagte er meiner Mutter, wir könnten uns aus seinen Räumen (die Schlüssel hatten wir, und nur zu uns hatte er im Haus, auf seine scheinbar grimmige Art, so etwas wie eine herrschaftlich-freundliche Aufmerksamkeit) alles holen, was wir wollten, nach seinem Tod. Von seinen Erben hielt er, wie er sich äußerte, nicht viel, was sich auch daran zeigte, daß er das Haus der Stadt Biberach vermachte, wie wir schließlich erfuhren. So kam ich zu Beginn der siebziger Jahre in den Besitz einiger alter Möbel; der Schreibtisch, an dem diese Zeilen entstehen, war seiner, der Stuhl, auf dem ich sitze, auch.
- Typisch Berliner Schmuddelnieselwetter; abends hing die Luftfeuchtigkeit wie in Gaswolken zwischen den Straßen.
7.1.2002
07.01.