5
Jan

5.1.2002

Zu den vielen Wintern der Jahre, die meine Mutter und ich in diesem Lindelestraßenhaus wohnten (der Winter 1974/1975 war der letzte), gehörte es, seit meinem zwölften Lebensjahr, dazu, daß ich noch spät an den Abenden, aber doch nicht an jedem, mit den „Kohlenschüttern“ und „Briketthaltern“ – waren dies die Bezeichnungen für diese Gegenstände? – hinunter in den Keller ging. Meine ganze Kindheit und den wesentlichen Teil der Jugend (immerhin war ich beim Auszug schon vierundzwanzig Jahre alt) hindurch wurde bei uns mit Holz- und Kohleöfen geheizt, und erst nach unserem Auszug – die letzten der in den Jahren wechselnden Mieter des Hochparterre waren da längst fort – wurde das Gebäude, wie wir wußten, vom neuen Eigentümer mit einer modernen Fußbodenheizung versehen. Oft war es unten schon still, wenn ich mit meinen schwarzblechernen Behältern die in einem 90-Grad-Bogen hinunterführende Holztreppe hinabstieg, die Ende der fünfziger Jahre dort eingebaute Zwischentür öffnete – das Haus, die alte Villa, war ja nicht als Mietshaus erbaut worden – und drei Schritte nach links tat, die Tür zur steinernen Kellertreppe möglichst leise aufzog (doch ein kurzes blechernes Klappern war manchmal nicht zu vermeiden) und hinunterstieg, aber nicht sehr tief, denn der ganze Kellerbereich, in dem auch zwei Räume lagen, die in den sechziger Jahren von den Töchtern des unten wohnenden Ehepaars als Jugendzimmer benutzt wurden, war ein Souterrain mit Fenstern, nur unser Kohlenkeller, der einzige Raum, der auch für diesen Zweck gedacht gewesen war, lag, trotz des stets das Tageslicht nur sehr trübe hereinlassenden schmalen Fensters, so, daß er als Keller wirkte.
In diesen halben Tiefen des Hauses schob ich den länglichen kastenförmigen Behälter für die Eierkohlen in den in der Ecke aufgeschütteten schwarzen Haufen, was ein kullernd-kratzendes Geräusch hervorrief, die Kellertür war aber hinter mir geschlossen, dann stapelte ich die Briketts in die dafür in Frage kommende Tragevorrichtung, hievte beide „Eimer“ vor die Tür, riegelte diese zu und schleppte die Kohlenbehälter beidhändig beide Treppen hinauf, dann erst wurde für diese Nacht der große Schlüssel im Schloß der oberen Tür, die in unsere Wohnung hineinführte, herumgedreht. Ich schüttete noch ein kleine Ladung Eierkohlen in den „Dauerbrandofen“, der im Wohnzimmer stand und eine gemütliche Wärme produzierte, und widmete mich anschließend wieder dem Science Fiction-Roman – oder anderer Lektüre, die, anders als die Science Fiction damals, den Anspruch, „Literatur“ zu sein, haben durfte – und las noch eine Weile, bis die dumme Notwendigkeit, am nächsten Morgen um sechs Uhr dreißig aufstehen und in die langweilige Schule traben zu müssen, mich aus fremden Welten auf die Banalitäten eines Schülerdaseins zurückholte. Nicht selten war zu dieser Stunde meine Mutter, die damals einen weiten Bekanntenkreis hatte und gelegentlich auch in den Angelegenheiten des Verbandes, zu dessen Kreisvorstand sie gehörte, unterwegs war, noch außer Haus; es kam vor, daß ich sie noch die Treppe heraufkommen hörte, bevor ich in jene Welten verschwand, die die Traumfantasien aufbauen.
- Die Sonne schien den ganzen Tag und ermöglichte ihm eine sanfte Dämmerung in sanften Farben.
5.1.2002
Klaus-Dieter Diedrich (1951-2006): "Die Biberacher Zeit"

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