26.1.2002
Es entsprach nur einer natürlichen Folgerichtigkeit, gefördert von einem beharrlichen Interesse an bestimmten Genres, Sujets und Strukturen, daß die Lektüre der Karl May-Bände – ich habe selbst nicht gedacht, daß ich nun so lange auf diesem Thema verharre – von der der Western- und Science Fiction-Hefte und -Romane abgelöst wurde. (Nicht vergessen will ich die Abenteuer des Marco Polo und Jules Vernes Helden nebst einiger anderer Herrschaften.) Damit begann eine ziemlich lange Lesestrecke, die bis in die Siebziger hineinreichte und etwa 1971 beendet war, zu einer Zeit, in der ich seit zwei Jahren „über“ Science Fiction schrieb. Was ich dann noch an Science Fiction und Ähnlichem las, waren Rezensionsexemplare. Ich verschweige auch nicht, schließlich war das in meinem Freundeskreis immer bekannt, warum sollen es eines Tages, vielleicht, nicht auch andere Leute wissen, daß ich 1971 meinen ersten Westernheftschundroman mit dem Titel „Morgan“ schrieb. Als stimmungsvollen Hintergrund der Story wählte ich eine für Western eher untypische Winterlandschaft; diese Idee hatte ich aus Sergio Corbuccis genialem Spätwestern „Leichen pflastern seinen Weg“ mit Klaus Kinski und Jean-Louis Trintignant in den Hauptrollen. Am 19.10. schickte ich ihn ab, mit Rückporto. Es dauerte nicht allzu lange, bis ein Brief vom Cheflektor eintraf. Der Western wurde angekauft, aber nie veröffentlicht, doch war ich für den Verlag nun ein hoffnungsvolles Talent. Ich hatte ein Postscheckkonto, auf das ging das Honorar. Von den 800 DM, für mich viel Geld, schenkte ich meiner Mutter zu Weihnachten eine elegante kleine Armbanduhr, der üppige Rest hielt es bei mir nicht sehr lange aus; wie ich ja zu Geld stets kein Verhältnis habe und beständig bankrott bin. Ich hatte aber Appetit auf mehr und schrieb den nächsten Schunder, „Revolversong in Losomar“; der ging am 28.3.1972 ab. Im Juni erhielt ich das Geld. Ich bekam auch einmal Besuch von einem dicken Lektor, der seine Autoren in Süddeutschland abklapperte. Ein drittes Manuskript mit dem wunderbaren Titel „Es stirbt sich schwer in San Cruzeiro“, in dem Gut und Böse nicht mehr so klar zu unterscheiden waren, und das mochten die Lektoren verschiedener Heftverlage gar nicht, tat sich schwer, bis es unterkam. Schließlich verscherbelte ich es im September 1974 doch noch. Ich schrieb einen Spätwestern, „Der lange Weg der Rache“; der mich nicht nach El Dorado führte, er kam zweimal zurück und blieb in einer Schublade liegen.)
Ein Beispiel für mein buntes Leseverhalten liegt in dieser Minute und lag in den vergangenen Tagen schon auf dem niedrigen Holztischchen mit der quadratischen Platte, das Herbert Kohout mir Ende des Dezembers 1976 schenkte, als er aus der Wohngemeinschaft im Haus Karpfengasse 24 in Biberach auszog und in seine Heimatstadt Wien zurückkehrte: Hier liegt neben dem Büchlein über Proust und dem Roman von Musil (wieder) ein Science Fiction-Roman von Frank Herbert, die Abschlußschwarte seines sechsbändigen „Wüstenplanet“-Zyklus, über den ich etwas zu schreiben beabsichtige; wie damals in den frühen Siebzigern will ich, denn die Zeit verträgt es wieder, einen ideologiekritischen Essay über dieses in fünfzig Millionen Kopien – wie der Verlag mir auf Anfrage mit E-Mail mitteilte – über den Planeten verstreute Stück Genreliteratur versuchen. - - (Pleonas-men und Tautologien übrigens haben ihren Reiz, sie halten so gut auf, das Denken stockt für einen Wimpernschlag, kreist um sich selbst... ) –
(1970, um das bei dieser Gelegenheit noch auszuführen, erhielt ich das erste „seriöse“ Honorar, vom Südwestfunk. Mit einiger Regelmäßigkeit hatte ich mir seit etwa 1968 die abendlichen literarischen Hörspiele angehört und sogar aus der Stadtbücherei einen Band über „Neues Hörspiel“ ausgeliehen, als dieser Sender eine „Höreraktion“ ins Leben lief. Ein vorgegebener Text sollte nach eigenem Gutdünken zu einem neuen Hörspiel eingerichtet werden. Ich forderte den Text, ein Krimistoff des Ruhrgebietsautors Körner, an, und machte mich über ihn her. Nach einigen Tagen hatte ich meine Fassung, mit Regieanweisungen, die die Musikstücke und -fragmente, die eingespielt werden sollten, beinhalteten, beisammen und schickte sie nach Baden-Baden. Nach einiger Zeit erhielt ich die Einladung zu einem Gespräch über diese Aktion im Sender. Ich reiste, mich schon als Autor fühlend, nach Baden-Oos, zumal Hin- und Rückfahrt vom SWF bezahlt wurden; das kann ja nur während der Sommerferien stattgefunden haben. Wir, die wir mitgemacht hatten, bildeten eine Gruppe von nicht mehr als fünf oder sechs, männlich dominiert. Wir übernachteten erst einmal in einem Hotel, am nächsten Tag wurde das Gespräch über die verschiedenen Texte und die Ideen, die wir eingebaut hatten, aufgezeichnet. Wolfgang Hädicke und Hermann Naber waren daran beteiligt. Bevor ich nach Biberach zurück fuhr, sah ich mir die große Dalí-Ausstellung in der Kunsthalle Baden-Baden an. Es strahlte das beste Wetter in diesen Tagen. Zwei Wochen danach hörte ich mich dann in der Sendung – und war etwas enttäuscht, denn die Aufnahme war doch ziemlich zusammen geschnitten worden. Immerhin: nicht lange dauerte es, bis die Honorarabrechnung über ca. DM 360 eintraf, und zusammen mit Fahrt und Hotel kam ich etwa auf den Betrag, den ich für den Western erhalten sollte; denn diese Einladung zum Funk nahm ich wahr, bevor ich jenes auf der Olivetti-Reiseschreibmaschine meiner Mutter getippte Manuskript los wurde.)
Es ist mir amüsant, wenn ich zur Zeit jeden Abend in allen drei Büchern lese, wie ich aus der französischen Belle Epoque und dem Beginn der „Moderne“ hinüber in ein paar Jahre älteres Kakanien wechsle – vor mehr als dreißig Jahren hatte ich ihm in diesem Roman schon einmal einen Kurzbesuch abgestattet – und von dort in eine Galaxis, vermutlich unsere, ins Jahr so ca. 14 000 nach dem Herrn, und feststelle, daß die Szenerien sich gar nicht so sehr unterscheiden; was dem Science Fiction-Autoren vorgeworfen werden könnte, wüßte man nicht, daß diese Unterhaltungsliteratur mit ihrer technizistischen Sozialingenieursideologie, sofern sie nicht gleich die reaktionären Weltmodelle favorisiert, auch nur von dem sprechen kann, was schon war. Und selbst die Sozialutopien eines Morus, Bacon, eines Campanella, klassische Renaissance-Phantasien für eine angeblich besser zu organisierende Welt, die der Hobbes’schen, in dessen Welt der Mensch des Menschen Wolf ist, und mir scheint, so ganz falsch lag er damit nicht, einen Ausweg finden wollten – denn zumindest der englische Lordkanzler Bacon hatte allen Grund anzunehmen, nicht in der besten aller möglichen Welten, die ein anderer später herbeitheodiziierte, zu leben, denn er erfuhr es einigermaßen drastisch, als sie ihn ermordeten – , hatten, in ihrem Land Nirgendwo, in Neu-Atlantis und im Sonnenstaat, schon einen Einblick in den totalitären Wahn eines politischen Mystizismus geboten.
Lektüren sind Zeitreisen. Mir kommt es im Augenblick darauf an, den Akzent auf „reisen“ zu legen, denn womöglich griff ich damals deshalb so oft – nein, nicht nach den Sternen (oder doch: ein wenig) – zu diesen Taschenbüchern und Heften, weil ich selten aus Biberach hinauskam; und die kleinen und großen Reisen, die Gleichaltrige in den Autos ihrer Väter unternahmen, ins Innere verlegte; es sind auch die lohnenderen. „Die Seele ist ein weites Land, in das wir fliehen“, steht als Zitat – ist es wirklich von Karl May? Doch eher von Schnitzler! – auf jenem Plakat des „Karl May“-Films von Syberberg (auch einer der Mystizisten), das irgendwo in den unausgepackten Umzugskartons liegt; das seit fast zwanzig Jahren an keiner Wand mehr hängt. Womit ich wieder in Radebeul gelandet wäre, SF-mäßig, oder wie? Ich starte aber sofort vom Schreibtischstuhl und lasse mich im Sessel bei den Büchern nieder. Das Zeitfenster „Samstag, 26. Januar 2002“ schließt sich nämlich, sobald der Wetterbericht endet.
- Vormittags Sonne, nachmittags trüber, die Luftbewegungen, Wind genannt, heftiger, abends Regen.
26.1.2002
Ein Beispiel für mein buntes Leseverhalten liegt in dieser Minute und lag in den vergangenen Tagen schon auf dem niedrigen Holztischchen mit der quadratischen Platte, das Herbert Kohout mir Ende des Dezembers 1976 schenkte, als er aus der Wohngemeinschaft im Haus Karpfengasse 24 in Biberach auszog und in seine Heimatstadt Wien zurückkehrte: Hier liegt neben dem Büchlein über Proust und dem Roman von Musil (wieder) ein Science Fiction-Roman von Frank Herbert, die Abschlußschwarte seines sechsbändigen „Wüstenplanet“-Zyklus, über den ich etwas zu schreiben beabsichtige; wie damals in den frühen Siebzigern will ich, denn die Zeit verträgt es wieder, einen ideologiekritischen Essay über dieses in fünfzig Millionen Kopien – wie der Verlag mir auf Anfrage mit E-Mail mitteilte – über den Planeten verstreute Stück Genreliteratur versuchen. - - (Pleonas-men und Tautologien übrigens haben ihren Reiz, sie halten so gut auf, das Denken stockt für einen Wimpernschlag, kreist um sich selbst... ) –
(1970, um das bei dieser Gelegenheit noch auszuführen, erhielt ich das erste „seriöse“ Honorar, vom Südwestfunk. Mit einiger Regelmäßigkeit hatte ich mir seit etwa 1968 die abendlichen literarischen Hörspiele angehört und sogar aus der Stadtbücherei einen Band über „Neues Hörspiel“ ausgeliehen, als dieser Sender eine „Höreraktion“ ins Leben lief. Ein vorgegebener Text sollte nach eigenem Gutdünken zu einem neuen Hörspiel eingerichtet werden. Ich forderte den Text, ein Krimistoff des Ruhrgebietsautors Körner, an, und machte mich über ihn her. Nach einigen Tagen hatte ich meine Fassung, mit Regieanweisungen, die die Musikstücke und -fragmente, die eingespielt werden sollten, beinhalteten, beisammen und schickte sie nach Baden-Baden. Nach einiger Zeit erhielt ich die Einladung zu einem Gespräch über diese Aktion im Sender. Ich reiste, mich schon als Autor fühlend, nach Baden-Oos, zumal Hin- und Rückfahrt vom SWF bezahlt wurden; das kann ja nur während der Sommerferien stattgefunden haben. Wir, die wir mitgemacht hatten, bildeten eine Gruppe von nicht mehr als fünf oder sechs, männlich dominiert. Wir übernachteten erst einmal in einem Hotel, am nächsten Tag wurde das Gespräch über die verschiedenen Texte und die Ideen, die wir eingebaut hatten, aufgezeichnet. Wolfgang Hädicke und Hermann Naber waren daran beteiligt. Bevor ich nach Biberach zurück fuhr, sah ich mir die große Dalí-Ausstellung in der Kunsthalle Baden-Baden an. Es strahlte das beste Wetter in diesen Tagen. Zwei Wochen danach hörte ich mich dann in der Sendung – und war etwas enttäuscht, denn die Aufnahme war doch ziemlich zusammen geschnitten worden. Immerhin: nicht lange dauerte es, bis die Honorarabrechnung über ca. DM 360 eintraf, und zusammen mit Fahrt und Hotel kam ich etwa auf den Betrag, den ich für den Western erhalten sollte; denn diese Einladung zum Funk nahm ich wahr, bevor ich jenes auf der Olivetti-Reiseschreibmaschine meiner Mutter getippte Manuskript los wurde.)
Es ist mir amüsant, wenn ich zur Zeit jeden Abend in allen drei Büchern lese, wie ich aus der französischen Belle Epoque und dem Beginn der „Moderne“ hinüber in ein paar Jahre älteres Kakanien wechsle – vor mehr als dreißig Jahren hatte ich ihm in diesem Roman schon einmal einen Kurzbesuch abgestattet – und von dort in eine Galaxis, vermutlich unsere, ins Jahr so ca. 14 000 nach dem Herrn, und feststelle, daß die Szenerien sich gar nicht so sehr unterscheiden; was dem Science Fiction-Autoren vorgeworfen werden könnte, wüßte man nicht, daß diese Unterhaltungsliteratur mit ihrer technizistischen Sozialingenieursideologie, sofern sie nicht gleich die reaktionären Weltmodelle favorisiert, auch nur von dem sprechen kann, was schon war. Und selbst die Sozialutopien eines Morus, Bacon, eines Campanella, klassische Renaissance-Phantasien für eine angeblich besser zu organisierende Welt, die der Hobbes’schen, in dessen Welt der Mensch des Menschen Wolf ist, und mir scheint, so ganz falsch lag er damit nicht, einen Ausweg finden wollten – denn zumindest der englische Lordkanzler Bacon hatte allen Grund anzunehmen, nicht in der besten aller möglichen Welten, die ein anderer später herbeitheodiziierte, zu leben, denn er erfuhr es einigermaßen drastisch, als sie ihn ermordeten – , hatten, in ihrem Land Nirgendwo, in Neu-Atlantis und im Sonnenstaat, schon einen Einblick in den totalitären Wahn eines politischen Mystizismus geboten.
Lektüren sind Zeitreisen. Mir kommt es im Augenblick darauf an, den Akzent auf „reisen“ zu legen, denn womöglich griff ich damals deshalb so oft – nein, nicht nach den Sternen (oder doch: ein wenig) – zu diesen Taschenbüchern und Heften, weil ich selten aus Biberach hinauskam; und die kleinen und großen Reisen, die Gleichaltrige in den Autos ihrer Väter unternahmen, ins Innere verlegte; es sind auch die lohnenderen. „Die Seele ist ein weites Land, in das wir fliehen“, steht als Zitat – ist es wirklich von Karl May? Doch eher von Schnitzler! – auf jenem Plakat des „Karl May“-Films von Syberberg (auch einer der Mystizisten), das irgendwo in den unausgepackten Umzugskartons liegt; das seit fast zwanzig Jahren an keiner Wand mehr hängt. Womit ich wieder in Radebeul gelandet wäre, SF-mäßig, oder wie? Ich starte aber sofort vom Schreibtischstuhl und lasse mich im Sessel bei den Büchern nieder. Das Zeitfenster „Samstag, 26. Januar 2002“ schließt sich nämlich, sobald der Wetterbericht endet.
- Vormittags Sonne, nachmittags trüber, die Luftbewegungen, Wind genannt, heftiger, abends Regen.
26.1.2002
26.01.